Seite - 50 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
Schritt im Zurückgehen begriffen waren. Nach einem intensiven inneröster-
reichischen Klärungsprozess 1987/88 hatte die Regierung einen diesbezüglichen
Entschluss gefasst und datiert mit 14. Juli 1989 drei Tage später ihr Gesuch in
Brüssel deponiert. Der Weg dorthin war ein weiter gewesen.191
3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa,
die Bundesrepublik und die deutsche Frage
Österreich musste in den Jahren 1960–1969 die Spaltung Westeuropas in EWG
und EFTA zur Kenntnis nehmen, die auf dem integrationspolitischen Interessen-
konflikt zwischen der Bundesrepublik und Frankreich einerseits und Groß-
britannien andererseits basierte. Erst der politische Abgang Charles de Gaulles
und der Haager EG-Gipfel am 1. und 2. Dezember 1969 schufen Voraussetzungen
für bilaterale Zoll- und Handelsverträge mit allen EFTA-Staaten im Jahre 1972,
die zwar für Österreich integrationspolitische Vorteile bewirkten, aber keine
wirkliche Gleichberechtigung der EFTA gegenüber der EG. Mit diesen Verein-
barungen wurde Österreichs im Westen durchaus als „erzwungen“ gesehene Neu-
tralität einmal mehr auch von westlicher Seite bestätigt und festgeschrieben.192
Österreichs Integrationspolitik der 1960er-Jahre ging 1972 unter der SPÖ-
Alleinregierung, geführt von Bruno Kreisky, Außenminister Rudolf Kirchschlä-
ger und Handelsminister Josef Staribacher, ansatzweise in Form von Zoll- und
Handelsverträgen mit der EWG und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle
und Stahl (EGKS) in Erfüllung. Zehn Jahre nach de Gaulles historischem Veto
gegen das Vereinigte Königreich, welches auch Österreichs Assoziierungsgesuch
vom 15. Dezember 1961 negativ präjudiziert hatte, trat am 1. Jänner 1973 ein
von Österreich gemeinsam mit Schweden und der Schweiz sowie anderen EFTA-
Staaten angestrebtes Arrangement in Kraft, welches die Neutralen wieder mehr
zusammenführte. Am Ausschluss dieser Staaten vom „Gemeinsamen Markt“ än-
derte dies nur partiell-tendenziell etwas, nämlich in der Handelspolitik, nicht
aber formell-grundsätzlich, besonders in der Institutionen- und Gemeinschafts-
politik. Es wäre dabei unzutreffend, anzunehmen, Kreiskys Vorstellung vom
europäischen Integrationsprozess wäre sowohl einzig von Vorbehalten geprägt als
auch seine Politik den Europäischen Gemeinschaften (EG) gegenüber im gesam-
ten Zeitraum seiner Regierungszeit 1970–1983 allein statisch gewesen. Auch geht
191 Hierzu aus einer Zeitzeugenperspektive: Manfred Scheich, Der Tabubruch. Österreichs Ent-
scheidung für die EU, Wien / Köln / Weimar 2005; zuletzt Michael Gehler, Kontinuität und
Wandel: Österreichs Europa- und Integrationspolitik vor und nach dem Epochenjahr 1989,
in: Thomas Fischer / Michael Gehler (Hg.), Tür an Tür. Vergleichende Aspekte zu Schweiz,
Liechtenstein, Österreich und Deutschland, Wien / Köln / Weimar 2014, S. 259–292.
192 Soweit das Fazit von Michael Gehler, Staatsvertrag, Neutralität und die Integrationsfrage
1955–1972. Die Sicht des Westens, in: Arnold Suppan / Gerald Stourzh / Wolfgang Mueller
(Hg.), Der österreichische Staatsvertrag. Internationale Strategie, rechtliche Relevanz, natio-
nale Identität Wien 2005, S. 841–890, hier S. 888–890.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99