Page - 106 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Berufliche
Anfänge106
besetzten Kupferplatte, Wildleder und Pergamentpapier stattliche 150 Mark (Abb. 67).60
Für den heute noch erhaltenen Wandteppich von Dicker sind 400 Schilling und für den
Möbelbezugsstoff 240 Schilling bzw. 75 Mark pro Meter angegeben.61
Ein weiteres Foto, das ebenfalls in der Präsentationsmappe eingeheftet war, zeigt ei-
nen Verkaufsstand mit den angebotenen Produkten (Abb. 68). Die kunsthandwerklichen
Erzeugnisse wurden auf Messen in Berlin, Frankfurt und Leipzig ausgestellt.62 Auf der
Zweiten Deutschen Spitzenmesse in Berlin wurde den Werkstätten Bildender Kunst 1924
für die ausgestellten Textilien „als Anerkennung für hervorragende Leistungen“ ein Eh-
rendiplom ausgestellt.63
Es ist nicht bekannt, ob in Berlin ein Kundenkreis bestand. Wahrscheinlich gehörten
vorwiegend Wiener FreundInnen und Familienmitglieder von Dicker und Singer zu den
KäuferInnen der Produkte. Als Auftraggeberin für Buchbindearbeiten von Anny Wottitz
ist beispielsweise die Wiener Pädagogin Eugenie Schwarzwald belegt, wobei ungeklärt
bleibt, ob dieser Auftrag tatsächlich in Zusammenhang mit den Werkstätten Bildender
Kunst erteilt wurde.64
60 AAD/V&AM, AAD 3-1982, PL8.
61 BHA, Fotosammlung, Friedl Dicker, Inv.-Nr. 7718/1-3.
62 Die Beteiligung auf Messen in Leipzig und Frankfurt geht aus Briefen von Friedl Dicker an Anny
Wottitz hervor. Vgl. UAKKA, Brief Friedl Dicker an Anny Wottitz, undatiert, um 1924, Inv.-
Nr. 13.702.
63 BHA, Dokumentensammlung, Franz Singer, Mappe 8.
64 Wie aus den Briefkorrespondenzen hervorgeht, versuchte Singer Wottitz Aufträge zu beschaffen:
„[...] gestern war ich bei [Eugenie] Schwarzwald, hab auch von dir erzählt u[nd] um Bücher zum
Binden gebeten. [...] Laß dir auch von Friedl helfen, die Bände entwerfen u[nd] lesen! [...] Bitte
vergiß die Dinge jetzt nicht, notier dir alles genau, es ist für uns alle jetzt eine Lebensfrage, daß die
Dinge gehen, wir bekommen ja sonst kein Geld u[nd] keine Aufträge, wenn wir versagen.“ Siehe:
UAKKA, Brief Franz Singer an Anny Wottitz, um 1923, Inv.-Nr. 13.741/10. Wottitz reagierte of-
fenbar empört auf diesen Brief und fühlte sich in ihrer Selbständigkeit angegriffen. Obwohl ihr
Antwortbrief nicht erhalten ist, geht ihre Reaktion aus einem zweiten Brief von Singer hervor:
„‚Mehr‘ zu arbeiten habe ich Dir nie ‚empfohlen‘ sondern Dich nur gebeten, in Deinem eigenem
Interesse, die Arbeit besser einzuteilen, besonders in Bezug auf die Gesellen. Deine Selbständigkeit
Dir zu nehmen liegt mir sehr ferne u[nd] ich begreife kaum, wie Du das sagen kannst. Daß ich mir
wünsche, daß Deine Buchbinderei sich auf Kosten von Adlers materieller Existenz aufbaut ist nicht
wahr u[nd] hat nichts mit den Aufträgen zu tun. Wenn Du Aufträge hast, wird die Buchbinderei
gut gehen u[nd] Du eventuell dem Adler helfen können. Wenn die Druckerei Aufträge hat, wird es
möglich sein die notwendigen Werke des Verlags erscheinen zu lassen. Wenn beides nicht der Fall
sein wird, wird auch der Verlag nicht gehen, Du dem Adler u[nd] umgekehrt materiell eine Last
sein. Ich verspreche, daß ich mir nichts mehr für andre ‚ausdenken‘ werde.“ Siehe: UAKKA, Brief
Franz Singer an Anny Wottitz, um 1923, Inv.-Nr. 13.741/20.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482