Page - 33 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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Oberfäche« der Probleme berühren (z. B. der Beitrag über Die künftige deutsche
Sprache), andere (Gegen den Haß und Das Geistige und der Krieg) drängen tiefer.39
In seiner Abhandlung Gegen den Haß, die sich gegen den Völkerhass wendet,
hält Lothar fest, dass es zwar bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar sei,
die für den Krieg Verantwort
lichen, also einige Individuen, zu hassen, nicht aber
ein ganzes Volk. Nährboden des Hasses sei das Hinterland, die Heimatfront, »wo
der abstrakte Begriff noch Meister ist, wo die lebendige Anschauung mangelt
und ein mißverstandener Patriotismus die Vernunft überhitzt […]. Der Feind
steht hier noch schlechthin als das böse Prinzip da, die nebelhafte Vorstellung
reizt zu Maßlosigkeiten und Mißverständnissen.« 40 All diejenigen etwa, die
»noch immer das beschämende, würdelose Gebet: ›Gott strafe England‹ […]
fanatisch ablegen« 41, seien selber nie im Feld gewesen. Obwohl Lothar das
»sinnloseste Heidengelübde« anprangert, verteidigt er doch dessen Verfasser
Ernst Lissauer. Dieser hatte sich zu Kriegsbeginn freiwillig gemeldet, war aber
wegen »körper licher Untüchtigkeit« abgelehnt worden. Um dennoch »seinen
Beitrag zu leisten«, begann Lissauer, Kriegslyrik zu verfassen. Sein 1914 ent-
standener, 51 Zeilen umfassender Haßgesang gegen England (»Doch werden wir
hassen mit langem Haß, / Haß zu Wasser und Haß zu Land […] / drosselnder
Haß von siebzig Millionen, / sie lieben vereint, sie hassen vereint, / sie haben
alle nur einen Feind: / England!« 42) wurde unter anderem durch die offizielle
Propagandakampagne der deutschen Reichsleitung zu dem »mit Abstand am
weitesten verbreitete[n] Gedicht des Ersten Weltkrieges« 43. »Gott strafe Eng-
land«, eine Zeile dieses Haßgesangs, wurde nicht nur als Schlachtruf des deut-
schen Heers, sondern auch als täg licher Gruß verwendet, der mit »Er strafe es«
zu beantworten war. Lothar bezeichnet Lissauers »Gesang« als das nach wie
vor »kraftvollste und ernsteste Kriegsgedicht«:
Es stand am Ursprung des Krieges, und am Ursprung jedes Krieges war Haß gegen
seine Anstifter. Ein Dichter sang diesen Haß, er sang ihn in seiner ganzen Wild-
heit, und da diese Wildheit nur das Abbild der Wahrheit war, war auch sein Werk
wohlgetan. Darum steht sein Gedicht am Anfang des Krieges am rechten Platz
39 Deutsche Literaturzeitung, 41 (1916), Sp. 1703, Tagespost (Graz), 21. 2. 1918, S. 1.
40 EL: Gegen den Haß. In: Österreichische Schriften, S. 36 – 45, hier S. 39 f.
41 Ebd., S. 40.
42 Paul Ehrenberg (Hg.): Den Feldgrauen. Neue sangbare Kriegslieder (Weihnachtslieder 1914)
und Ernst Lissauers Haßgesang gegen England. Berlin: Musikverlag Ehrenberg 1914. 32 S.
43 Sven Oliver Müller: Die Na tion als Waffe und Vorstellung, S. 117.
1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 33
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar Heißler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478