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seine Frau nicht verlassen wird. Sie dosiert das ihr verschriebene Medikament
zu hoch, um den Geliebten »aus schwerem Konfikt zu befreien« 70.
Novellentypisch klingt die Handlung am Schluss aus, die Zukunft der Haupt-
figur wird nur angedeutet: Es ist nicht ganz klar, ob Anna an dieser Ăśberdosierung
stirbt (es kommt auch nicht heraus, ob sie sich bewusst fĂĽr den Tod entscheidet
oder aufgrund ihrer Schmerzen das Mittel unbeabsichtigt zu hoch dosiert),71 die
Novelle hat also ein offenes Ende. Dieser Schluss der Erzählung erinnert an
Schnitzlers Novelle Fräulein Else, mit der die Lothar’sche auch die Form des
inneren Monologs teilt.72 Als eine Art Leitmotiv fungieren in Lothars Erzählung
Annas mit wechselnder Intensität immer wieder auftretende Herzbeschwerden.
Interessanterweise wählt der Rezensent der Literarischen Welt in seiner Bespre-
chung der Novelle die Bezeichnung »Roman«, um die Erzählung zu charakterisie-
ren, bei der er Lothar »nur das gediegene, sach
liche Talent eines guten Erzählers« 73
attestiert. Auch das Neue Wiener Journal spricht von einem Roman: »Es ist ein
Alltagsroman, sozusagen ein Protokoll eines Lebens, das ein merkwĂĽrdiges Drei-
eck, Ehemann, Gattin und Freundin, mit dramatischer Wucht und mit nur loser
Schattenrißzeichnung der Nebenfiguren in den Mittelpunkt der Handlung stellt.« 74
Drei Tage und eine Nacht ist noch im Jahr 1932 im Programm des Speidel Ver-
lags zu finden, obwohl Lothar zu diesem Zeitpunkt bereits zu Zsolnay gewech-
selt hatte. Die Novelle hatte aber bei Speidel keine Neuaufage erlebt, das heiĂźt,
die erste Aufage konnte bis zu diesem Zeitpunkt nicht verkauft werden. Auch
die 3000 gedruckten Exemplare von Gottes Garten (1.–3. Aufage) waren bis
dahin noch in der Liste der Speidel-
BĂĽcher zu finden, konnten also ebenfalls
nicht abgesetzt werden.75
Das erste Buch Lothars, das im Zsolnay Verlag erschien und eine Zusammenar-
beit mit dem Verlagshaus einläutete, die mit kurzer Unterbrechung (1938 – 1947/50)
70 Deutsch- Ă–sterreichische Literaturgeschichte. Bd. 4, S. 1377; vgl. auch Mina Forstner: Ernst
Lothar. Drei Tage und eine Nacht. In: Reichspost, 14. 2. 1927, S. 7.
71 Vgl. EL: Drei Tage und eine Nacht, S. 164 ff.
72 Die Lothar’sche Novelle bleibe insgesamt »nicht allzu weit hinter Schnitzlers ›Fräulein Else‹«
zurĂĽck, meinte u. a. aufgrund dieser Ă„hn lichkeiten Josef Gajdeczka im BrĂĽnner Tagesboten
(5. 6. 1927, S. 3).
73 Theodor LĂĽcke: Ernst Lothar. Drei Tage und eine Nacht. In: Die literarische Welt, 22 (1927),
S. 6. Vgl. auch A. Banaschewski: Ernst Lothar: Drei Tage und eine Nacht. Novelle. In: Die
Literatur, 29 (1926 – 27), S. 548.
74 Neues Wiener Journal, 21. 11. 1926, S. 21 f.
75 Vgl. Angelika Errath: Die F. G. Speidel’sche Verlagsbuchhandlung, S. 34.
Gegenseitigkeitskorruption und »unerwünschtes Schrifttum« 65
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar HeiĂźler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478