Page - 103 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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sich Preminger im Rahmen einer kleinen Bühnenfeier von Ensemble und tech-
nischem Personal und führte Lothar als neuen Direktor ein. Dieser betonte in
seinen programmatischen Ausführungen, dass er es als seine oberste Pficht
erachte, die Bühne im Geiste Reinhardts weiterzuführen. Im Zuschauerraum
hatten sich Vertreter der Medien eingefunden, um die Antrittsrede zu hören
und das Programm für die Spielzeit 1935/36 zu erfahren.21
Ende November entwickelte Lothar den Plan für einen Festspielzyklus in
der Josefstadt, in dem vor allem Werke zur Darstellung gelangen sollten, »die
für Österreich repräsentativ und bisher nicht nach Gebühr gewürdigt worden« 22
seien. Auch sollten vor allem solche klas sischen Werke zur Aufführung gelan-
gen, »die in irgendeiner Form eine geistige Diskussion über Fragen darstellen,
die, abgesehen von ihrem ewig gültigen Gebot, gerade in der Gegenwart von
besonderer Aktualität sind« 23. Eröffnet wurde dieser Festspielzyklus des Thea-
ters in der Josefstadt im Beisein zahlreicher Politiker am 6. Dezember 1935 mit
dem Trauerspiel Ein treuer Diener seines Herrn, das Lothar »vom Bühnenstand-
punkt her« für das theaterwirksamste Stück Grillparzers hielt, ausgestattet »mit
eminenter Effektsicherheit und Publikumskenntnis« 24. Dies war für seinen
Entschluss, das Schauspiel aufzuführen, sicher mit ausschlaggebend.25 Die posi-
tive Resonanz auf Lothars Neubearbeitung und Neuinszenierung war anfangs
nicht unbedingt abzusehen, hatten doch manche geglaubt, dass die Enge des
Theaters in der Josefstadt gegen eine Aufführung spreche und sich dessen Pub-
likum nicht für Grillparzer erwärmen könne. Auch Lothar hatte seine Zweifel,
in dem Programmheft zu dem Abend schrieb er: »Nicht ohne Bangen unter-
nimmt das Theater in der Josefstadt, wo das klas
sische Wort seit langem nicht
mehr heimisch ist, den Versuch, Österreichs größten Dichter zu spielen. Mag
Er hatte Lothar auch einige Stücke hinterlassen, die dieser entweder hätte spielen lassen oder
mit einer Konven tionalstrafe abgelten müssen. Lothar entschied sich für Letzteres (vgl. EL:
Das Wunder des Überlebens, S. 89).
21 Reichspost, 15. 9. 1945, S. 15; Das Kleine Blatt, 15. 9. 1935, S. 15; Neue Freie Presse, 15. 9. 1935, S. 14;
Wiener Zeitung, 15. 9. 1935, S. 9.
22 Neue Freie Presse, 20. 11. 1935, S. 9.
23 Neues Wiener Journal, 16. 1. 1936, S. 15.
24 EL: Tragödie der Pflicht. »Ein treuer Diener seines Herrn« im Deutschen Volkstheater. In: Neue
Freie Presse, 11. 12. 1927, S. 1 – 4, hier S. 4.
25 Lothar hätte dieses Grillparzer- Drama eigent lich noch als Gastregisseur des Burgtheaters
inszenieren sollen, es bestand ein diesbezüg licher Vertrag mit Röbbeling. Doch er wollte es nach
seiner Übernahme des Josefstädter Theaters unbedingt als erstes von ihm inszeniertes Stück
im eigenen Haus bringen, und Röbbeling entließ Lothar auf dessen Ersuchen aus dem Vertrag.
Vgl. Neues Wiener Journal, 1. 12. 1935, S. 30.
1935 – 1938: Theater in der Josefstadt 103
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar Heißler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478