Page - 108 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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ausgelöst habe. Er habe sich mittels mühevoller Sprechübungen und dem Vor-
singen der zu sprechenden Texte seinen Tiroler Dialekt abgewöhnt. Seine Rollen
lernte er silbenweise. Ein weiteres Schlüsselerlebnis war für ihn ein Besuch der
Salzburger Festspiele, wo er Moissi auftreten sah. Brandhofer, der in Tirol einen
Hof bewirtschaftete, baute sich eine Bibliothek auf und studierte neben seiner
landwirtschaft
lichen Tätigkeit die ihm vorschwebenden Rollen: »Ich suchte die
Einsamkeit, war auf hochgelegenen Almen beim Vieh oder im Wald bei der
Holzschlägerung immer mit einem Klassiker in meiner Lederhosentasche.« 52
Auf Reinhardts Empfehlung hin sprach er bei Ernst Lothar vor, der ihm
»sofort einen Brief übergab, wonach [er] an die Josefstadt engagiert« sei, vor-
ausgesetzt, er bestehe die Prüfung für den Berechtigungs- bzw. Bühnenzulas-
sungsschein. Auch dieses am Deutschen Volkstheater abzulegende Examen
stellte für Brandhofer kein Hindernis dar, das Engagement an der Josefstadt
war somit fix: »[E]in wenig bange ist mir bei dem Gedanken an mein allererstes
Auftreten auf einer Bühne dennoch« 53, ließ er die gespannte Öffent lichkeit kurz
vor seinem Debüt in Lothars Dramatisierung der Schnitzler’schen Monolog-
novelle Fräulein Else wissen.
Lothar war Ende Oktober 1936 mit seiner aus sieben Bildern bestehenden
Dramatisierung fertig geworden.54 Arthur Schnitzler selbst hatte einst darauf
hingewiesen, dass er sich eine Adaptierung seiner Novelle für die Bühne nur
dann vorstellen könne, wenn die Form des Monologhaften gewahrt bliebe. Er
dachte angeb lich eher daran, Else an der Rampe der Bühne stehen und ihren
Monolog sprechen bzw. spielen zu lassen, während hinter ihr auf der Bühne die
Handlung in dramatischen Bildern vorbeizieht.55 Lothar fand andere Mittel und
Wege, die aus einem einzigen, »ungesprochenen Monolog« bestehende Novelle
in Szenen und Dialoge umzuformen: Er lässt Else viel telefonieren, führt neue
Personen in das Stück ein und erfindet Dialoge dazu. In Lothars Bühnenfas-
sung wird die Handlung in die Gegenwart versetzt, Elses Vater bekommt eine
zentrale Rolle.56 Nicht nur, dass aus Elses leichtsinnigem Vater bei Lothar »so
52 Neue Freie Presse, 1. 12. 1936, S. 11.
53 Ebd.
54 Vgl. Neues Wiener Journal, 21. 10. 1936, S. 11. – EL: Fräulein Else. Schauspiel in 7 Bildern nach
der gleichnamigen Novelle von Arthur Schnitzler. Wien: P. Zsolnay 1936. 128 S.
55 Vgl. Neues Wiener Journal, 6. 12. 1936, S. 28.
56 Lothar lässt Elses Vater auch auftreten: Der von Albert Bassermann gespielte Advokat hält
»eine Rede über den Widerstreit zwischen den Pflichten der Menschlichkeit und dem Gesetz«,
wodurch sich »das Problem des Stücks« verschob. Allerdings sei dieser Einschub »Bassermann
zuliebe« vorgenommen worden, so die Wiener Volks- Zeitung (4. 12. 1936, S. 7).
1935 – 1938: Theater in der
Josefstadt108
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar Heißler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478