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10.000 Kronen.350 Vorbild für diese Romanfigur dürfte wohl der Budapester Jour-
nalist und Verleger Imre Békessy gewesen sein, der in Wien ab 1923 die Boule-
vardzeitung Die Stunde herausgab. In dieser Zeitung, die der in Ungarn wegen
Erpressung polizei lich gesuchte Békessy mithilfe des Finanzmoguls Camillo
Castiglioni gründete, wurden Liebesaffären berühmter Schauspieler, Aristokra-
ten und sonstiger Prominenter ausgeschlachtet.351 Zu Békessys Geschäftsprak-
tiken gehörten nachweis lich Erpressung und Korrup tion,352 und wie es sich für
ein Boulevardblatt gehört, hatte die Zeitung einen geringen Text- und Politik-,
dafür aber einen hohen Bild- und Klatschanteil. Lothar charakterisiert Jonescus
publizistisches Organ in seinem Roman als eine jener Zeitschriften, »die dem
Privatleben mehr Aufmerksamkeit als der Politik widmeten und beides mit
blumigen Kommentaren versahen, die Daniel Spitzer in seinen ›Wiener Spa-
ziergängen‹ ein ›Mistbeet Wiener Journalistik‹ genannt hatte« 353. Jonescus Sohn
habe Jus studieren wollen, sei aber bei der entscheidenden Prüfung durchgefal-
len. Békessys Sohn, der sich später Hans Habe nannte, hatte ein Studium der
Rechte begonnen, bevor er sich dem Journalismus zuwandte.
Im weiteren Verlauf der Romanhandlung führt Lothar dem Leser immer mehr
Personen und Persön
lichkeiten der damaligen Wiener Gesellschaft vor Augen.
Indem er seine Protagonisten in entscheidenden geschicht lichen Momenten
vor Ort sein lässt oder sie in diese verwickelt, unternimmt er den Versuch eines
historischen Romans, der im Gewand einer Familiensaga auftritt. Durch die
Figur der Henriette Alt wird der Leser in die Welt der Aristokratie und des
Kaiserhauses eingeführt, ihr Mann Franz steht für das Bürger- und Unterneh-
mertum, ihr Schwager für das Beamtentum bzw. für die Staatsanwaltschaft und
ihren Einfussbereich. Diese Genera tion repräsentiert die Zeit der Habsburger-
monarchie (Praterfahrten, der Fiaker Bratfisch, Kaiserhaus, Salons, Duelle,
Derbys in der Freudenau, Sommerfrische in Bad Ischl). Die zweite Genera tion
der Alts deckt dann vorwiegend die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zur
Okkupa tion Österreichs ab. Adolf Hitler wird in den Roman dadurch einge-
führt, dass er zeitgleich mit Henriettes Sohn Hans die Aufnahmeprüfung an der
Wiener Kunstakademie zu bestehen versucht, Hansens Bruder Hermann sym-
pathisiert mit den Na tionalsozialisten, er ist derjenige, der Selma, die jüdische
350 Vgl. ebd., S. 141.
351 Vgl. Gerhard Henschel: Die neuzeit liche Inquisi tion. Zur Geschichte des journalistischen
Rufmords, S. 19 f.
352 Vgl. zum Beispiel Wiener Zeitung, 19. 6. 1927, S. 5.
353 EL: Der Engel mit der Posaune, S. 140.
»Amerikanischer« Bestsellerautor 205
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar Heißler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478