Page - 322 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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Erzählung Das Weihnachtsgeschenk heraus,157 die einen Jungen in eine Konfiktsitua-
tion stellt, die »die Frage der Gerechtigkeit und der Rechtsprechung berührt« 158.
Der insgesamt 209 Seiten starken und Adrienne gewidmeten Erzählung, die eine
relativ kurze Zeitspanne von in etwa einem Monat (Dezember 1953) schildert, ist
ein Motto Grillparzers vorangestellt, das die Lösung besagter Konfiktsitua
tion
vorwegnimmt: »Es gibt ein Recht, es steht nicht in Gesetzen, doch ist’s gerechter …«
Eine Gerichtsverhandlung und die dem Autor wichtige Zeugenthematik
nehmen den breitesten Raum der Erzählung ein und stellen gleichzeitig ihren
Höhepunkt dar. So wie auch schon in dem Roman Kleine Freundin wird das
Gerichtsgeschehen aus der Perspektive des Kindes gesehen, der Autor versucht,
einen Einblick in das kind liche Rechtsempfinden zu geben bzw. dem Leser den
Eindruck, den eine solche Verhandlung auf ein Kind macht, und die Gewis-
sensnöte, in die es dabei geraten kann, näherzubringen.
Fragen nach Wahrheit und LĂĽge, Schuld und Unschuld, Recht und Unrecht
werden behandelt; und wie in so vielen anderen BĂĽchern Lothars wird herausge-
strichen, dass die Gerichtssprache die Wahrheit mehr verzerrt als zutage fördert.
Die Protagonisten der Erzählung sind 1945 aus Marienbad vertriebene »Volks-
deutsche«, die aufgrund der Beneš-
Dekrete enteignet und so als mittellose
Flüchtlinge bzw. »Displaced Persons« ihr Dasein in einer Behelfssiedlung in der
Nähe Salzburgs fristen.159 Dies mag – abgesehen von seinem Bekanntheitsgrad
(Der Engel mit der Posaune) – ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass sich die
Beamten des deutschen Ministeriums bei ihrer Filmausschreibung an Lothar
wandten. AuĂźerdem hatte er bereits 1943 in seinem Roman Beneath Another Sun
das Schicksal vertriebener Volksgruppen zu schildern versucht.
Nach dem Eintreffen von Klebergs Schreiben Anfang 1955 hatte Lothar
einen Monat Zeit, um seinen Vorschlag an das Ministerium zu senden; ein
Prüfungskollegium aus »Experten für Geschichte, Literatur und Film« sollte
dann innerhalb von zwei Monaten aus den eingegangenen EntwĂĽrfen drei zur
Verfilmung geeignete auswählen. 40 Autoren nahmen an dieser Ausschreibung
teil, die drei auserwählten wurden gegen ein Honorar von je 3000 DM mit der
Erstellung eines Filmexposés beauftragt.
157 EL: Das Weihnachtsgeschenk. Erzählung. Wien: Paul Zsolnay 1954. 209 S.
158 Gertrud Lachnit: Ernst Lothar: Das Weihnachtsgeschenk. Erzählung. In: Bundesministerium
fĂĽr Unterricht, Zentralstelle fĂĽr Volksbildung: Neue Volksbildung. Wien: Ă–sterr. Bundesverlag
1954, o. S.
159 Die Problematik der Heimatvertriebenen wird zwar angesprochen, allerdings nur beiläufig in
zwei oder drei Passagen (EL: Das Weihnachtsgeschenk, S. 27, 193 f., 202).
1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der
unerbittlichste«322
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Ernst Lothar
- Subtitle
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Author
- Dagmar HeiĂźler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 484
- Keywords
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Category
- Biographien
Table of contents
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478