Page - 87 - in Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich - Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Image of the Page - 87 -
Text of the Page - 87 -
87
Professorenkollegium die Anfrage stellte, ob man bereit wäre, Sokol schon ein
Jahr früher aufzunehmen, stimmten die Professoren freudig zu.62 Bedenken über
die Verwendbarkeit des Gastes gab es keine, und die sonst übliche Passivität war
wie weggeblasen: Sokols Name fand sogar Erwähnung im Universitätsbericht
von 1956/57 – das schaffte nur knapp weniger als die Hälfte der Fulbright Gran-
tees, die an der Universität Wien platziert waren.63
Auffällig ist auch, dass nur zwei Personen wirklich regelmäßig, also Jahr für
Jahr Projekte bei der Fulbright Commission einreichten: Das waren August M.
Knoll und, sobald er in den Rang eines Professors aufgestiegen war, Leopold
Rosenmayr. Sie waren unter vielen Juristen und Wirtschaftswissenschaftlern die
einzigen Soziologen an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der
Universität Wien. Das Fulbright Program ermöglichte ihnen, die personelle Basis
der eben erst institutionalisierten Disziplin zu erweitern. Ähnlich, aber weniger
regelmäßig agierten ihre Fachkollegen an der rechts- und staatswissenschaftli-
chen Fakultät der Universität Graz sowie in anderen human- und gesellschafts-
wissenschaftlichen Disziplinen, die an den philosophischen Fakultäten unterge-
bracht waren. Insbesondere Psychologie und Geographie sind hier zu nennen.
Vom Vorschlag bis zur tatsächlichen Platzierung als Gastprofessor schafften
es aber nur ganz wenige WissenschaftlerInnen (Sokol war einer von ihnen). In
der Regel verschwand der mit einem Projekt verknüpfte Name früher oder später
im Zuge des Auswahlprozesses und wurde durch einen anderen ersetzt.64 Eine
Stichprobe aus den Akten des koordinierenden Bundesministeriums in Bezug
auf sozialwissenschaftliche Projekte zeigt, dass von den zwischen 1953 und 1958
für ein Projekt vorgeschlagenen 21 Personen65 nur vier tatsächlich nach Öster-
reich kamen – neben dem erwähnten Sokol waren das noch die Soziologen Franz
H. Mueller und Marvin Taves sowie der Ökonom Josef Solterer (siehe Darstel-
lung 12).
Diese (unvollständige) Aufstellung der von den Fakultäten bzw. Hochschulen
eingereichten, mit Projekten verknüpften Namen beinhaltet Namen auch heute
noch bekannter Wissenschaftler, etwa Oskar Morgenstern und Reinhard Ben-
dix. Bei zwölf von 21 der vorgeschlagenen Personen wurde auf deutschsprachige
Kollegen zurückgegriffen. Der überwiegende Teil davon hatte einen politischen
Hintergrund, den wir als katholisch-konservativ bezeichnen können (die Aus-
nahme ist Eduard März). Eine weitere Gemeinsamkeit war, dass die meisten von
ihnen – wie Sokol – keine politischen, sondern Wirtschaftsemigranten gewesen
waren, die bereits Ende der 1920er bzw. Anfang der 1930er Jahre in die USA
gegangen waren, also vor der Zeit der autoritären Regimes. Offenbar bestanden
transatlantische Netzwerke der nach 1945 zurückgebliebenen Professoren an
österreichischen Hochschulen vor allem zu dieser spezifischen Gruppe an Wis-
senschaftsemigrantInnen.
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Subtitle
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Author
- Thomas König
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Size
- 15.8 x 23.9 cm
- Pages
- 190
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117