Page - 93 - in Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich - Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Image of the Page - 93 -
Text of the Page - 93 -
93
Da das kompetitive Moment im Auswahlprozess die ausreichende Qualifika-
tion der BewerberInnen sicherstellte, waren jene Personen, die tatsächlich nach
Österreich kamen, fachlich sehr gut für ihre Lehrtätigkeit geeignet. Nahezu alle
Gäste waren an ihren Heimateinrichtungen als ProfessorInnen tätig; nur bei fünf
Personen konnte keine Affiliation festgestellt werden.83 Nimmt man als Promi-
nenz einen gewissen Bekanntheitsgrad in der amerikanischen Öffentlichkeit, so
kann man etwa für die 26 Grantees im Bereich der Social Sciences feststellen,
dass mehr als ein Drittel, nämlich neun von ihnen, in der Ausgabe des „Who is
who in America“ von 1966 verzeichnet waren.84 Trotzdem konvergierten für die
österreichischen Mitglieder der Kommission in Wien Qualifikation und Promi-
nenz nicht immer. Das führte, wie wir schon gesehen haben, wiederholt zu Pro-
blemen im Platzierungsverfahren.
Zuletzt zur fachlichen Ausrichtung der US-Visiting Lecturers. Dabei erst lässt
sich feststellen, ob es tatsächlich gelang, durch die Schwerpunktsetzung einen
Beitrag zu einem vielfältigeren Studienangebot und zur Stimulierung nicht an
österreichischen Universitäten etablierter wissenschaftlicher Praktiken zu leis-
ten. Wie wir bereits gesehen haben, waren 61 von 87 US-Visiting Lecturers den
Spezialbereichen Social Sciences und American Studies zuzuordnen. Nur wenige
der dazu gehörigen Fächer waren an österreichischen Hochschulen institutiona-
lisiert. Daraus können wir schließen, dass das Programm mit seiner vorgesehe-
nen Transferleistung erfolgreich war.
Einblick in den Gehalt dieser Transferleistung können wir aus den Berichten
der Grantees gewinnen. Um den Aufenthalt zu evaluieren und das Programm zu
verbessern, wurden sie gebeten, am Ende ihres Aufenthalts einen Final Report
abzuliefern. Das war eine Art semistandardisierter Fragebogen mit einer Reihe
von Fragen, die offen beantwortet werden konnten. Die meisten Grantees leg-
ten gern und ausführlich Bericht ab, weshalb ihre Antworten für uns eine ideale
Quelle für individuelle Erfahrungen darstellen und zugleich für eine über diese
individuellen Eindrücke hinausgehende, systematische Analyse synthetisiert
werden können.85 Vermutlich besteht kein zweiter Aktenbestand, der über län-
gere Zeit hinweg mit relativ gleichartigen Fragen das Meinungs- und Erfahrungs-
bild einer derart großen Gruppe an Außenstehenden zu verschiedenen Aspekten
der österreichischen Wissenschaften nach 1950 erfasst hat.86
Gemäß unserer Fragestellung sind besonders die konfliktreichen Fälle inte-
ressant. Nun kann es natürlich immer zu Reibereien kommen, wenn persönli-
che Animositäten zwischen einem Gast und einem Gastgeber bestehen. Für die
Analyse fruchtbarer sind jene Konflikte, bei denen wir Inkompatibilitäten grund-
sätzlicher Natur vermuten dürfen. Zu diesem Zweck konzentrieren wir uns auf
ein Sample von GastprofessorInnen im Bereich der Sozialwissenschaften. Zwei
Aspekte machten diesen Wissenschaftsbereich für Konflikte schon von vornher-
ein, also unbesehen von subjektiven Faktoren, anfällig: erstens der Umstand, dass
es gleich für mehrere Disziplinen, die unter diesem Fächerbündel zusammen-
gefasst wurden, an österreichischen Hochschulen keine Pendants gab. Und zwei-
tens, dass in dieser Gruppe besonders viele naturalized Americans vorkamen.
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Subtitle
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Author
- Thomas König
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Size
- 15.8 x 23.9 cm
- Pages
- 190
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117