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social, religious, and intellectual developments, laws and institutions, lan-
guage, literature, and the arts. Particular importance is attributed to litera-
ture.“ (Scard 1958, 8)
Das Fulbright Program unternahm es, solch vage und zugleich politisch auf-
geladene Konzepte in ein anderes Wissenschaftsfeld zu transponieren. Bei aller
Unschärfe ging es um „American knowledge for gobal power“ ebenso wie „as
global power“ (Engerman 2007): Dass die beiden Bereiche in einem politischen
Kontext standen, lag schon wegen der dabei betriebenen wissenschaftlichen
Durchdringung von gesellschaftlich relevanten Phänomenen und Problemstel-
lungen nahe. Das konnte kaum friktionsfrei bleiben – auch deshalb, weil es in
Österreich eine überaus bedeutsame Tradition eigenständiger Wissenschafts-
und Theoriebildung in den Sozialwissenschaften gegeben hatte (Müller 1988),
die allerdings in den beiden vorangegangenen Dekaden weitgehend abgebrochen
war. So kam es zu einer delikaten Situation: Zwar gab es an den Universitäten von
einigen dieser Schulen noch Vertreter, die die politischen Umbrüche überstan-
den hatten, auch häufig an Schaltstellen saßen und sich stolz auf ihre Traditionen
beriefen. Das innovative Potential wie auch die Anziehungskraft dieser Schulen
waren für den wissenschaftlichen Nachwuchs aber versiegt. Als Ergebnis reagier-
ten viele arrivierte Professoren ablehnend auf den Druck, dem Neuen nachzu-
geben, und standen den neuen Praktiken aus den USA mit besonderer Skepsis
gegenüber.
In einem Erfahrungsbericht seines US-Aufenthalts reflektierte der Wirt-
schaftswissenschaftler und Professor an der Hochschule für Welthandel, Richard
Kerschagl, auch kurz über die Soziologie in den USA und stellte dabei erstaunt
fest:
„Allerdings wird unter Soziologie fast niemals das gelehrt, was man in
Europa unter Soziologie versteht, sondern meist eine Mischung von
Sozialpolitik, Ethnographie, Anthropologie, Bevölkerungspolitik, Staats-
lehre, Rechtsphilosophie, ja sogar Human Relations, also entsprechend
etwa ‚Organisationsformen des Staats- und Wirtschaftslebens‘.“ (Kerschagl
1952, 7)
Aber was verstand man in Österreich unter Soziologie? Kerschagl ließ diese Frage
offen stehen. Sein Kollege Ferdinand Westphalen verfasste nur wenige Monate
später für die Library of Congress in Washington einen Bericht mit dem Titel
„Sociology and Economics in Austria“.5 Dabei versuchte er folgende Definition:
„The sciences which are concerned with the study of human beings, their
way of living, and their cultural developments must make it their aim to
analyze and explain the particular virtue of social structures and the shifts
they undergo. It is in this way only that the sciences can do full justice to
their own subject matter.“ (Westphalen 1953, 1)
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Subtitle
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Author
- Thomas König
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Size
- 15.8 x 23.9 cm
- Pages
- 190
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117