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2005). Die Wirtschaftswissenschaften stagnierten: Die Vertreter der Schulen
waren hier mehr um ihren politischen Einfluss besorgt, besetzten Posten mit
weitgehend mediokren Personen und verpassten dabei den Anschluss an inter-
nationale Debatten.
In diesen Fällen sehen wir, dass die disziplinäre Entwicklung aufgrund des Man-
gels an Personal nicht stattfinden konnte (bzw. aktiv verhindert wurde). Anders in
der Soziologie: Die Mitte der 1950er Jahre eingerichtete Sozialwissenschaftliche
Forschungsstelle an der Universität Wien unter den bemühten Professoren August
M. Knoll und Leopold Rosenmayr erscheint im Nachhinein als ideale Einrichtung
für die Platzierung von amerikanischen Visiting Lecturers dieser Fachrichtung.
Knoll und Rosenmayr setzten sich auch sehr aktiv und erfolgreich für die Platzie-
rung von GastprofessorInnen an ihrem Institut ein. Umso überraschender, dass
das Ergebnis dann oft nicht sehr positiv ausfiel. Einer konnte sich gar eine ironi-
sche Bemerkung nicht verkneifen:
„Due to the fact that I was unable to arrange a conference with [Rosenmayr,
Anm. T.
K.] I was unable to participate in the research activities of the Insti-
tute aside from my work revising [his] research reports, and manuscripts.
In the latter sense, I did indeed participate in the activities of the research of
the Institute, although the process was not in a two way street.“34
Um das zu verstehen, müssen wir kurz auf Leopold Rosenmayr eingehen.
Bezeichnenderweise gibt es kaum vergleichbare junge Innovatoren am wissen-
schaftlichen Feld, die es in den 1950ern schafften, die Lähmung an den Hoch-
schulen zu durchbrechen und eine institutionelle Neugründung, innovative For-
schungsschwerpunkte und eine wissenschaftliche Karriere zu verbinden.35 Nach
einem frühen Aufenthalt in den USA mit einem Rockefeller-Grant setzte Rosen-
mayr sich selbst das ehrgeizige Ziel, einen „Beitrag zur umfassenden Schilderung
gesellschaftlicher Prozesse und Zustände“ (Rosenmayr 2005, 37) zu liefern. Mit
großer Tatkraft bereitete er der empirischen Sozialforschung den Boden – zwar
nicht in Österreich, aber doch an der Wiener Universität.36 Schon bald suchte er
erfolgreich um Geld vor allem von US-amerikanischen Foundations an (Fleck
2000, 162). Von der interessierten amerikanischen Wissenschaftsgemeinschaft
wurde er zum Hoffnungsträger einer modernen Sozialwissenschaft in Österreich
aufgebaut – ein Eindruck, der einige Konsequenzen hatte.37
Rosenmayr schaffte es, Protegé mehrerer einflussreicher Personen zu sein –
nicht nur von (im Professorenkollegium und unter österreichischen Fachkollegen
allerdings zunehmend ausgegrenzten) August M. Knoll, sondern auch von Paul F.
Lazarsfeld, von Mitarbeitern der Rockefeller Foundation und anderen amerikani-
schen und deutschen Soziologen. Rosenmayr spielte geschickt mit verschiedenen
Erwartungshaltungen, die auf seine Position und seine Person projiziert wurden.
Dabei schaffte er es zwar, folgt man Christian Fleck, seine eigene Strategie durch-
zusetzen (Fleck 2000, 154). Für die wissenschaftlichen Gäste war der Aufenthalt
an der Sozialwissenschaftlichen Forschungsstelle aber oft wenig bereichernd.
Erklärbar ist das wohl aus Rosenmayrs Position des einsamen Innovators, zumal
Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich
- Subtitle
- Transatlantische „Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung“
- Author
- Thomas König
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-7065-5088-8
- Size
- 15.8 x 23.9 cm
- Pages
- 190
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Geleitwort 7
- Vorwort 11
- 1. Einleitung 13
- 2. Die Institutionalisierung des Fulbright Program in Österreich 23
- 3. Politische Gestaltungsmöglichkeiten 42
- 4. Wissenschaftliche Gäste zwischen Repräsentation und Wissenstransfer 56
- 5. Auswahl, Platzierung und Verwendung der wissenschaftlichen Gäste 73
- 6. Beschränkte Wirkung: Social Sciences und American Studies 97
- 7. Schluss 117