Seite - 53 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Heute Abend wird wieder geboxt.
Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom
Im hochgradig kodifizierten Praxis- und Repräsentationsraum des Rings mit
seinem mehr oder weniger offenen Feld an Möglichkeiten treffen sich, pointiert
formuliert, Theoretiker und Boxer auf einer allgemein strukturellen Ebene: Bo-
xer umkreisen, belauern sich – auch in vielen Schriften Foucaults findet sich der
Analysepfad des Ein- und Umkreisens von spezifischen Diskursphänomenen.
Im Folgenden werden daher jene gesellschaftlichen, politischen und kulturellen
Realitäten in der Zeit des Weimarer Boxsportbooms als konstitutive Elemente
diskutiert, die sich – in Anlehnung an Foucault – als materielle und immaterielle
Epochenpartikel vernetzen: Boxen stellt mehr als nur ein binär aufzudröselndes
Knäuel von Praxis und Theorie dar. Der Boxsport modelliert das öffentliche Ge-
schehen entscheidend mit und dient als Bilderwerfer und Topos-Lieferant für
die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufklaffende Lücke, die sich zwischen er-
starrter bildungsbürgerlicher Tradition und dem aufkeimenden Bedürfnis nach
Schaulust und Unterhaltung bildet.1 Es stehe fest, vergleicht der Prager Journa-
list und Sportpalast-Besucher Emil Faktor 1924 in Kräftespiel heterogene Sphä-
ren, dass „die Interessantheit eines Boxkampfes etliche der Kunst verwandte
Elemente wie Energie, Konzentration, Disziplin, Temperament, Kombinations-
gabe, Geistesgegenwart, Phantasie (die sich die Möglichkeiten des Gegners vor-
stellt)“2 wachrufe – Letztere kämen „sehr, aber sehr in Betracht“3. Boxen scheint
in die Gemengelage der Zeit verwoben: Spuren dieses Sports finden sich in
Kunst, Kulturtheorie und zeitgenössischer Kommentierung.4 Die Versuche, Bo-
xen zum bestimmenden Symbolfeld der Moderne und den Boxer zur idealen
Projektionsfigur des neuen Menschen zu erheben, finden sich in Literatur und
Journalismus, Kino und Radio, Fotografie5 und Fernsehen6, Musikschlager und
1 Vgl. Fleig 2008, S. 19
2 Faktor 1994, S. 228
3 Ebd.
4 Auf das Konglomerat der verschiedenen Vermarktungsstrategien des Boxens – Film, Drama,
Reklame – verweist Heinz Risse bereits 1921, vgl. Risse 1979, S. 68f
5 Vgl. Kühnst 1996, S. 293; Kohtes 1999, S. 70; Rase 2003, S. 199
6 Vgl. Gumbrecht 2003, S. 75; Meinhardt 1996, S. 41; Eisenberg 1993, S. 139; Kohr, Krauß 2000,
S. 59, über den ersten vom Rundfunk übertragenen Boxkampf in Deutschland 1927; Ellwanger
2008, S. 21, über die erste Rundfunkübertragung der Auseinandersetzung Dempsey vs. Carpen-
tier in den USA 1921
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440