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Österreichische Historiker 1900–1945 19
behindert. Völkische Historiker wie Heinz Zatschek oder Paul Heigl, Mitglied der SS, be-
saßen im IÖG eine feste Verankerung. Für junge Völkische wie Wilfried Krallert, Walter
Wache und Irmgard Jung setzte sich Hirsch ein18. Dass hierbei nicht nur wissenschaftliche
Momente ausschlaggebend waren, ist leicht erkennbar. Wenig beachtet wurde bisher die
„Karriere“ eines („nebenberuflichen“) Historikers, der unter der Betreuung Hirschs seine
Dissertation erarbeitete. Diese „Karriere“ mag von Interesse sein, weil sie den wohl ext-
remsten Weg eines Historikers zur Täterschaft als Mitglied der SS darstellt.
Siegfried Seidl, 1911 in Tulln geboren, musste früh sein Studium der Rechte in Wien
abbrechen, da er nicht über genügend Mittel verfügte19. 1930 trat er der NSDAP, 1931
der SA bei ; diese verließ er bereits 1932 und wechselte zur SS. Während der „Verbots-
zeit“ war er als „Illegaler“ tätig und nahm verschiedene Arbeiten an. Gleichzeitig muss er
sein Dissertationsprojekt in mittelalterlicher Geschichte vorangetrieben haben, denn im
April 1938 konnte er die schriftliche Arbeit „Die Hauptlinie der Eizinger in Österreich“
einreichen. Gutachter dieser gediegenen Studie waren Hans Hirsch und Otto Brunner.
Wie Seidl zu seinem Dissertationsprojekt kam und ob er eine Karriere als Historiker in
Betracht zog, kann derzeit nicht beantwortet werden. Das Promotionsverfahren schloss
Seidl erst im Februar 1941 ab. Zu dieser Zeit war seine „Karriere“ in der SS bereits in
vollem Gang und er wurde aus der allgemeinen SS in den Sicherheitsdienst der SS (SD)
überführt. Reinhard Heydrich und Adolf Eichmann erteilten ihm im Oktober 1941 den
Befehl, in führender Position an der Errichtung eines jüdischen Ghettos in Theresienstadt
(Terezín) mitzuwirken. Seit Ende des Jahres wohnte Seidl mit seiner Familie in Theresien-
stadt und war als Lagerkommandant maßgeblich am Aufbau des Ghettos beteiligt.
Erwähnenswert ist schließlich, dass Seidl im Juni 1942 persönlich mit einer Häftlings-
gruppe in das von NS-Sicherheitskräften vernichtete tschechische Dorf Lidice fuhr, um
die Beerdigung dort hingerichteter Männer auszuführen. Seinen Werdegang in der SS
setzte Seidl 1943 als Lagerinspektor im KZ Bergen-Belsen fort, um 1944 an den Verfol-
gungen von Juden in Ungarn teilzunehmen. Im Juli 1945 wurde Seidl in Wien von der
österreichischen Staatspolizei verhaftet. Von einem österreichischen Gericht zum Tode
verurteilt, wurde er im Februar 1947 in Wien hingerichtet. Als eine völlige Ausnahme
in den Lebensläufen österreichischer und deutscher Historiker kann der Fall Seidl nicht
bezeichnet werden. Der im ersten Band proträtierte Wilfried Krallert arbeitete ebenfalls
für den SD und war Mitwirkender an einer „Genozidpolitik“. Der mit Heinz Zatschek
in bestem Einvernehmen stehende deutsche Historiker Hans Joachim Beyer, Mitglied
18 Siehe die Beiträge zu Heigl, Hirsch, Krallert und Zatschek im ersten und im zweiten Band der „Österreichi-
schen Historiker 1900–1945“.
19 Siehe wie auch im Folgenden Tomáš Fedorivič, Der Theresienstädter Lagerkommandant Siegfried Seidl, in :
Theresienstädter Studien und Dokumente 2003 162–209.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625