Seite - 20 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
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der SS, konnte für sich einen Einsatz in einer Einsatzgruppe des SD in der Ukraine im
Sommer 1941 verbuchen20. Erwähnenswert ist schließlich noch die Vita Josef Pfitzners,
eines Osteuropahistorikers und „Historikers der Sudetendeutschen“, der enge Kontakte
zu Hirsch pflegte, in Prag starke, auf Gegenseitigkeit beruhende Animositäten zu Zat-
schek entwickelte und 1939 zum stellvertretenden Primator Prags ernannt wurde. In Ver-
antwortung für seine, in dieser Funktion betriebene Politik für das NS-Regime wurde er
1945 verurteilt und hingerichtet21. Das sind wohl die extremsten und traurigsten „Karri-
erewege“, die deutsche und österreichische Historiker einschlugen.
Aufschlussreich für die politische Atmosphäre am IÖG sind auch die Erinnerungen
Fritz Poschs. Er kam aus einem katholisch ländlichen Milieu an das IÖG und nahm am
40./41. Ausbildungslehrgang 1936–1939 teil. Über Posch war bzw. wurde bekannt, dass
er keine Sympathien für den Nationalsozialismus hegte und vom „katholischen“ Profes-
sor Hugo Hantsch entsandt worden war22. Das brachte ihm offene Ablehnung und so-
gar Feindschaft einiger anderer Kursteilnehmer ein, weit weniger der Lehrenden23. Dass
sich die Verhältnisse am IÖG in den 1930er-Jahren jedoch kompliziert und vielfältig
gestalteten, beweist der Lebenslauf Gerhart B. Ladners. Als Student jüdischer Herkunft
hatte er mit der offenen Gegnerschaft antisemitischer Kommilitonen zu kämpfen, fand
aber am IÖG zunächst sogar ein friedliches Auskommen mit dem „Krypto-Nazi“ Paul
Heigl24. Entscheidend war, dass sich ihm Hans Hirsch „günstig gesinnt“ zeigte und
seine wissenschaftliche Karriere bis zur Habilitation kurz vor dem „Anschluss“ 1938 för-
derte25. Bemerkenswert scheint schließlich, dass das IÖG im weiteren Verlauf bis 1945
nicht zu einem Zentrum der während des Nationalsozialismus als Paradigma propagierten
„Volksgeschichte“ mutierte, sondern die Lehre weiterhin überwiegend an der bis dahin
20 Karl Heinz Roth, Heydrichs Professor. Historiographie des „Volkstums“ und der Massenvernichtungen. Der
Fall Hans Joachim Beyer, in : Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, hg. v. Peter
Schöttler (Frankfurt/M. 1997) 262–342, hier 288–291.
21 Siehe Detlef Brandes, Alena Míšková, Vom Osteuropa-Lehrstuhl ins Prager Rathaus. Josef Pfitzner 1901–
1945 (Praha/Essen 2013).
22 Siehe die Selbstdarstellung Fritz Poschs in : Recht und Geschichte. Ein Beitrag zur österreichischen Gesell-
schafts- und Geistesgeschichte unserer Zeit. Zwanzig Historiker und Juristen berichten aus ihrem Leben, hg.
Hermann Baltl, Nokolaus Grass, Hans Constantin Faussner (Studien zur Rechts-, Wirtschafts- und Kul-
turgeschichte 14, Sigmaringen 1990) 197–219.
23 Ebd. 205 : „Nach dem Anschluß jedoch wurde mein Stipendium gestrichen, weshalb ich bald das Institut
verließ, da ich die Attacken meiner Kollegen nicht mehr aushalten konnte.“ 206 : „Man begegnete mir […]
überall mit Mißtrauen, die Professoren waren durchwegs national-liberal oder nazistisch, die Studenten fast
durchwegs nazistisch. […] Noch kurz vor dem Anschluß führte Prof. Otto Brunner den Kurs durch das Tech-
nische Museum. Alle Teilnehmer erschienen mit dem illegalen Parteiabzeichen, außer Prof. Brunner und ich.“
24 Gerhart B. Ladner, Erinnerungen, hg. v. Herwig Wolfram und Walter Pohl (SB Wien, Wien 1994) 49.
25 Ebd. 24, 28 und 60.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625