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36 Johannes Holeschofsky
dung einer kräftigen Hausmacht zu beschränken. So urteilte Leopold Ranke im zweiten
Band seiner Weltgeschichte, ein Urteil, das dem von Ficker, dem Redlichs Buch gewid-
met ist, ähnelt20. Redlich übernahm in seinem Werk dieses Urteil Rankes und Fickers,
trachtete es aber auch zu überwinden. Seine zeitgenössischen österreichischen Kollegen
schwankten zwischen offen antihabsburgischen, antiklerikalen Attacken und großöster-
reichisch-klerikalen Hymnen auf Rudolf als treuen Diener des Papstes und Begründer der
habsburgischen Hausmacht21. Diesen beiden Sichtweisen wollte Redlich etwas Drittes
gegenüberstellen.
4.1 Geschichte der Habsburger, Werden einer Hausmacht, Königswahl 1273
Ganz nach dem Vorbild etwa von Erich Marcks’ Wilhelm I. zeigte Redlich, wie die indi-
viduelle Geschichte des Habsburgers als mächtigen tatkräftigen Territorialherrn in die
allgemeine Reichsgeschichte mündete und diese befruchtete. Rudolfs Schicksal sei aber
wiederum, auf einer gleichsam „vorbewussten, gefühlsmäßigen“ Ebene, von Beginn an
mit der staufischen Kaiserherrlichkeit verknüpft22. An Rudolfs Wiege stand angeblich
Friedrich II. als Taufpate. Redlich unternahm gegenüber seinem Lehrer Ficker eine parti-
elle Verteidigung der Reichspolitik des Staufers23. „Überspanntheiten“ der Italienpolitik
Friedrichs habe der Habsburger dagegen unterlassen – dahingehend wurde Rudolfs oft
berühmte „Nüchternheit“ interpretiert, von der sich bei Redlich sonst reichlich wenig
findet. Redlichs Rudolf erscheint fast als der ideale, alle reichspolitischen Ansätze der
Stauferzeit vereinigende König.
Die Königswahl von 1273 wurde von Redlich als nationaler Akt der Reichseinheit
gefeiert und scharf mit einer verfassungsrechtlichen Herausbildung eines Kurfürstenkolle-
20 Leopold von Ranke, Weltgeschichte. Die Geschichte der abendländischen Welt von den ältesten Völkergrup-
pen bis zu den Zeiten des Überganges der modernen Welt II (Essen o.J.) 581f.
21 Die nationalliberale, kleindeutsche Geschichtsschreibung hatte ursprünglich in der Nachfolge Justus Mösers
aufgrund der zurückhaltenden Italienpolitik des Königs ein eher positives Rudolf-Bild. Die erste Kritik Ru-
dolfs in der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts erfolgte durch den Österreicher Ottokar Lorenz. Ru-
dolf habe die Reichspolitik zugunsten seiner dynastischen Interessen vernachlässigt. Vgl. Ottokar Lorenz,
Deutsche Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert. Geschichte Rudolfs von Habsburg und Adolfs von Nassau
2 (Wien 1867) 284f. Vgl. dagegen den großösterreichisch-legitimistischen Standpunkt bei Josef Hirn, Rudolf
von Habsburg. Die vor 600 Jahren stattgehabte Krönung des ersten Habsburgers (Wien 1874). Für Hirn ver-
trug sich „Österreichs Sonderstellung“, die gleichwohl „nie gegen das Reich, sondern immer mit dem Reich“
entstanden sei, letztlich nicht mit einem „mächtigen Reichsoberhaupt“. Ebd. 110.
22 Olaf Hähner, Historische Biografik. Die Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform
von der Antike bis ins 20. Jahrhundert (Frankfurt 1999) 212f.
23 Oswald Redlich, Rudolf von Habsburg. Das Deutsche Reich nach dem Untergange des alten Kaisertums
(Innsbruck 1903) 127f.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625