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Oswald Redlich (1858–1944) 37
giums kontrastiert, die zur Zeit des Regierungsantrittes von Rudolf schon als abgeschlos-
sen zu betrachten sei24. Dieses habe sich seit der berühmten Bulle „Venerabilem“ Papst
Innozenz’ III. von 1202 und aufgrund kurfürstlicher Willfährigkeit gegenüber der Kurie
spätestens während des Interregnums als abgeschlossener Prozess der Rechtsentwicklung
konstituiert, wie auch die Bindung des deutschen Herrschers an kurfürstliche Wille briefe.
Diese an Ficker anknüpfende verfassungsgeschichtliche Sichtweise wird auch heute noch
vertreten, ist aber, wie die heftigen Kontroversen um das mögliche Vorhandensein könig-
licher Tochterstämme, um Interpolationen in den Sachsenspiegel und um die mögliche
Entstehung des Kurfürstenkollegiums erst mit der Wahl Albrecht I. zeigen, nicht unum-
stritten25. Indes meinte auch Franz Rainer Erkens, der an der frühen verfassungsrecht-
lichen Entwicklung des Kurfürstenkollegiums festhält, dass eine Erweiterung der soge-
nannten Erzämtertheorie um die Ämter der drei geistlichen Kurfürsten erst um 1270 vor
sich gegangen sei26. Redlich sprach schlicht von einer Herausbildung der Erzämtertheorie
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts27.
Redlich sah in Papst Gregors X. Eingreifen, seinem Ultimatum an die Kurfürsten, bin-
nen einer befristeten Zeit einen Herrscher zu wählen, ein Zeichen für eine damals schon
bestehende antifranzösische Haltung der Deutschen28. Denn diese hätten nie der von Karl
von Anjou initiierten Königsernennung des Dauphins zugestimmt. Dagegen habe Gregor
nun an das freie Wahlrecht der Kurfürsten appelliert, in heimlicher Hoffnung auf eine
Wahl Ottokars29. Wenn Gregor jedoch die nationalistischen Ressentiments der damaligen
Deutschen so gut kannte, warum hielt er dann eine Wahl Ottokars für wahrscheinlicher
als eine des Kapetingers ? Im Sachsenspiegel fand sich bekanntlich schon der Wunsch, den
Böhmenkönig als Kurfürsten von der Königswahl auszuschließen, wenn er „kein Deut-
scher“ sei. Mochte Ottokar sich auch auf seine staufische Verwandtschaft berufen – na-
tionale Ressentiments einten die Kurfürsten Ende des 13. Jahrhunderts vor allem dann,
wenn eine auswärtige Macht ihre realen Machtinteressen bedrohte. Dies geschah 1273
aber bei den Wittelsbachern, dem Erzbischof von Mainz und auch den Askaniern am
ehesten durch Přemysl Ottokar. Bemühte sich Redlich hier, einseitig Ottokar als Günst-
ling des Papstes hinzustellen ?
24 Ebd. 140f.
25 Zur Forschungsdebatte siehe Franz-Reiner Erkens, Kurfürsten und Königswahl. Zu neuen Theorien über
den Königswahlparagrafen im Sachsenspiegel und die Entstehung des Kurfürstenkollegiums (MGH, Studien
und Texte 30, Hannover 2002). Siehe auch Jörg Rogge, Die deutschen Könige im Mittelalter. Wahl und
Krönung (Darmstadt 22011) 46f.
26 Redlich, Rudolf (wie Anm. 22) 87f.
27 Ebd. 137f.
28 Ebd. 153.
29 Ebd. 154.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625