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42 Johannes Holeschofsky
ringung aber hätte ihn nicht primär das Kurfürstentum gehindert, sondern die plötz-
lichen Todesfälle ihm wohlgesinnter Päpste und schließlich das ungeschickte Auftreten
eines päpstlichen Gesandten. Doch noch immer, auch durch die frühen Todesfälle seiner
jüngeren Söhne Hartmann und Rudolf, denen er vor dem unbeliebten Albrecht den Vor-
zug gegeben habe, nicht entmutigt, habe Rudolf nicht aufgegeben, die Krone dennoch
seinem letzten verbliebenen Sohn zu sichern. Mit einem „feingesponnenen“ politischen
Netzwerk habe der alte König sich des Böhmenkönigs Wenzel II. versichert, trotz einer
sich erneut zusammenballenden Opposition der drei geistlichen Kurfürsten54 : Nicht an
der Majorität der Kurfürsten sei Rudolf gescheitert, sondern an einem Konflikt zwischen
Wenzel und Albrecht55. Wenzel sei nach Rudolfs Tod zur Schlüsselfigur der Verhinderung
Albrechts geworden56. In dieser Elegie auf einen Habsburger ist der versteckte Seitenhieb
auf die bereits jetzt einsetzende Hausmachtpolitik der Dynastie nicht zu übersehen. Ein
– wenn nicht de jure, so de facto – zentralisiertes „Oberdeutschland“ als Kern des „Alten
Reiches“ wiederherzustellen, allen rechtlichen Entwicklungen zum Reichsföderalismus
zum Trotz : Das sah Redlich von seinem damals bereits anachronistischen, schwärmerisch-
großdeutschen Standpunkt aus als ebenso ursprüngliche wie in späterer Zeit versäumte
Hauptaufgabe habsburgisch-deutschen Königtums.
Dieser Gedankengang setzt freilich voraus, dass Redlich, wie die meisten deutschspra-
chigen Mediävisten seiner Zeit, Reichsgewalt mit Königsgewalt, Herrschergewalt gleich-
setzte, den „Partikularismus“ als rein „zersetzendes, destruktives“ Phänomen definierte.
Den Gedanken, nach dem Ende der Staufer hätten nicht nur Reichsfürsten, sondern auch
von der Herrschergewalt der Staufer gar nicht so ungern befreite Gruppen wie vor allem
die Reichsstädte, sich selbst mit dem Reich identifiziert und es gegen den Herrscher ausge-
spielt, berücksichtigte Redlich nicht. Eine Analyse von Herrschaftsnetzwerken und der Be-
deutung unterschiedlicher Entscheidungsträger fehlt ebenfalls, wie schon Hertzberg-Frän-
kel monierte57. Redlich verteidigte sich mit der Spärlichkeit der vorhandenen Quellen58.
Zusammenfassend erscheint Redlichs Werk in vielen Einzelpartien als hinterfragens-
wert – und zwar gerade auch vom Standpunkt einer deutschen Mediävistik, die nach wie
vor einen deutschen König an staufischer Herrscherherrlichkeit misst. Schon die Grund-
konzeption des Autors erscheint stark von einer damals modernen Historikerschule inspi-
riert, die alle „Tatsachen der deutschen Geschichte“ auf den „großen Zusammenhang der
Entwicklung der Nation“ ausgerichtet „erlebt“ und „verstanden“ wissen wollte.
54 Ebd. 720f.
55 Ebd. 725.
56 Ebd. 728. Siehe dazu auch Robert Antonín, König Wenzel II. von Böhmen und die Wahl des römisch-
deutschen Königs von 1292, in : MIÖG 120 (2012) 1–22, hier 2f.
57 HertzBerg-Fränkel, Rezension (wie Anm. 16) 404.
58 Redlich, Rudolf (wie Anm. 22) 733.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625