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46 Johannes Holeschofsky
derte Redlich den geradlinigen Weg vom Pactum mutuae sucessionis von 1703 zur Prag-
matischen Sanktion 1713. Noch immer aber, auch nach 1721, seien die in aller Welt
verteilten Ländereien der Habsburger kein „Totum“, kein sinnvoll zusammenhängendes
Ganzes, gewesen, zitierte Redlich den Prinzen Eugen von Savoyen74. Dasselbe Urteil
bleibt auch für die Reichspolitik sowie die auswärtige Politik Karls bestehen. Lange habe
Karl nach der Wendung der britischen Politik sich geweigert, ins Reich zurückzukehren,
entgegen den „höchst triftigen“ Einwänden Prinz Eugens75. Das ihm „kongeniale und
sympathische Spanien“ habe er Deutschland vorgezogen.
Genauso kritisch urteilte der Historiker über die Politik Karls VI. nach dem Frieden
von Rastatt. Zunächst habe er lange am „spanischen Erbe gehaftet“. Dann habe er den
Rat des Prinzen Eugen nicht befolgt, eine wittelsbachische Heirat einzugehen, um Bayern
„unschädlich“ zu machen76. Stattdessen habe die „imperialistische und hegemoniale“ Ita-
lienpolitik Karls, innig mit nie wirklich überwundenen spanischen Sehnsüchten verbun-
den, einen Hauptfaktor für die Bedrohung des europäischen Gleichgewichts nach dem
Spanischen Erbfolgekrieg bedeutet77. Dadurch seien die wechselvollen und gefährlichen
Bündniskombinationen der damaligen Jahrzehnte erst herbeigerufen, die endlosen Be-
mühungen um reichs- und völkerrechtliche Anerkennung der Pragmatischen Sanktion
durchkreuzt worden. Wie viel hätte es auch hier dem Kaiser gebracht, den Rat des Savoy-
ers zu befolgen, sich mit den Seemächten und Preußen zu arrangieren, jeglichen habsbur-
gischen „Weltmachtträumen“ adieu zu sagen und sich auf das Reich zu konzentrieren78 !
Hier wie in der ganzen, den Prinzen Eugen verherrlichenden Betrachtung unterschied
sich Redlichs Auffassung von der gegen die Seemächte gerichteten und die spanische Po-
litik Karls verteidigenden Sichtweise von Hugo Hantsch79.
Insgesamt betrachtet negierte Redlich jedwede Fähigkeit der habsburgischen Herr-
scher, einen österreichischen Gesamtstaat aus eigenen Stücken, vor allem auch mit Unter-
stützung der Stände, zu schaffen. Die Gesamtstaatswerdung sei nur im Wechselspiel mit
einer antiosmanischen und antifranzösischen Kriegspolitik vorangetrieben worden. Eine
solche habe aber nie in den eigentlichen Intentionen Leopolds I. und Karls VI. gelegen.
Zu dieser Politik motiviert worden seien die zaudernden und zögernden Habsburger von
74 Oswald Redlich, Das Werden einer Großmacht. Österreich von 1700–1740 (Gotha 1938) 181.
75 Ebd. 89f.
76 Ebd. 206f.
77 Ebd. 174.
78 Ebd. 207f.
79 Hugo Hantsch, Reichsvizekanzler Friedrich Karl Graf zu Schönborn 1674–1746. Einige Kapitel zur politi-
schen Geschichte Josefs I. und Karls VI. (Augsburg 1929) 300f. Zu Hantschs Schönborn-Biografie vgl. Johan-
nes Holeschofsky, Hugo Hantsch. Ein großösterreichischer Verfechter der Reichsidee, in : Österreichische
Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945 2, hg. v. Karel Hruza (Wien 2012) 451–489, hier 462f.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625