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60 Johannes Holeschofsky
Im Allerunterthängisten Vortrag des Ministers für Unterricht, Paul Gautsch von Fran-
kenthurn134, wurde zunächst bemerkt, dass das Finanzministerium seine bisherigen Wi-
derstände gegen die Wiederbesetzung der Lehrkanzel Sickels aufgegeben habe. Der erst-
genannte Kandidat, Ottenthal, sei aber aufgrund des Abganges von Arnold Busson in
Innsbruck unabkömmlich. Zudem sei ohnedies nicht zu erwarten, dass Ottenthal (der
im selben Jahr die Ficker-Nachfolge als Ordinarius in Innsbruck antrat) sich mit dem
vorgesehenen Wiener Extraordinariat begnügen werde. Somit sei die Bahn für die laut
Gautschs Bericht geeignetste Lösung, nämlich Redlich, frei135. Zeißberg, der damalige Vor-
stand des IÖG, führte in seinem Bericht vom 10. Juni 1892 an, zuallererst habe man
auf die Meinung Mühlbachers Wert gelegt – eben jenes Mühlbacher, den Sickel laut
Lhotsky entmachten wollte. Dieser habe bemerkt, es spreche nichts dagegen, auf den
Sickel-Vorschlag von 1890 zurückzugreifen136. Doch das nunmehr geschaffene Extraordi-
nariat für Allgemeine Geschichte und Historische Hilfswissenschaften, das thematisch als
Sickel-Nachfolge anzusprechen ist, erforderte ein breiteres Begabungsprofil als das 1890
vergeblich von Sickel angeregte Extraordinariat für Ottenthal. Dieser, so fuhr Zeißberg
fort, habe sich zweifellos wertvolle Verdienste um das Gebiet der päpstlichen Diplomatik
erworben. Ansonsten würden Publikationen mäßigen Umfanges des Südtiroler Historikers
vorliegen. Und auch Zeißberg wies darauf hin, dass Ottenthal in Innsbruck unabkömm-
lich sei.
Redlichs Leistungen, so Zeißberg, würden die aller anderen jüngeren Fachgenossen
überragen. War damit auch Ottenthal gemeint, der gerade drei Jahre älter als Redlich
war ? Durch seine mustergültigen Studien über Privaturkunden, die maßgebend bleiben
würden, habe Redlich völlig neue Wege gewiesen. Dazu würden sich zum Beispiel höchst
anregende kulturhistorische Essays, wie etwa „Ein alter Bischofssitz im Gebirge“137, gesellen.
Die Regestenarbeit Redlichs zeichne ihn als überaus gründlichen Gelehrten aus. Darüber
hinaus aber habe Redlich sich auch anderweitig ausgezeichnet. Hier hob Zeißberg meh-
rere Artikel zur österreichischen Geschichte hervor. Schließlich sollten die besonderen
Verdienste des Archivars Redlich und weiters die Tatsache erwähnt werden, dass dieser
134 ÖStA, AVA, Professorenakte Oswald Redlich, K. Nr. 677, Zl.6218 Allerunterthänigster Vortrag des k. k. Un-
terrichtsministers Paul Gautsch von Frankenthurn vom 22.02.1893. Gautsch war als konservativer Minister
der Regierung Taaffe naturgemäß Gegner des antiklerikalen, nationalliberalen Ottenthal. Redlich teilte zwar
Ottenthals Anschauungen, hatte sich aber weniger exponiert als der auf die Papstgeschichte spezialisierte
Tiroler Landsmann und Fachkollege.
135 Ebd.
136 ÖStA, AVA, Professorenakte Oswald Redlich, K. Nr. 677, Zl.621893, Kommissionsbericht der Philosophi-
schen Fakultät der Universität Wien, Vortragender Zeißberg, 11.06.1892.
137 Oswald Redlich, Ein alter Bischofssitz im Gebirge, in : Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen
Alpenvereines 21 (1890) 35–61.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625