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Ludo Moritz Hartmann (1865–1924) 71
die Tatsache, dass Moritz Hartmann am Jüdischen Friedhof in Wien-Währing bestattet ist25,
dafür, dass er niemals offiziell aus dem Judentum ausgetreten ist. Für die jüdische Gemeinde
Wien wäre sein Sohn Ludo Hartmann jedenfalls kein Jude gewesen, da seine Mutter nicht
jüdischer Herkunft war.
Hartmann selbst sah sich anscheinend nur einmal genötigt, öffentlich die Herkunft seiner
Familie zu kommentieren : Im Rahmen der Volkszählung 1923 fand eine politische und pu-
blizistische Auseinandersetzung um die Erhebung der „Rasse“ statt. Als der Verfassungsaus-
schuss wegen der Durchführung dieser Volkszählung zusammentrat, äußerte der Abgeord-
nete Anton Jerzabek den Wunsch, dass das Zählblatt auch eine Fragestellung bezüglich der
Rassezugehörigkeit enthalten sollte. Der für die Durchführung der Volkszählung zuständige
Innenminister Felix Frank lehnte dies doch mit der Begründung ab, dass dieser Wunsch
zu spät käme, da die Zählblätter bereits gedruckt und an die Bezirkshauptmannschaften
verteilt worden seien. Später schwenkte Frank jedoch auf die Linie von Jerzabeks Vorschlag
ein und erließ eine amtliche Verordnung, wonach die Frage nach der Sprachzugehörigkeit
auch mit einer Angabe der „Rasse“ beantwortet werden musste26. Anlässlich dieser Frage
setzte Hartmann einen „offenen Brief an den Rassenforscher Frank“ auf, in dem er pointiert
die väterliche Seite von spanischen und polnischen Juden, von Chazaren und Semiten bis
zu den Hethitern aufgliedert, inklusive eines polemischen Verweises auf Houston Stewart
Chamberlain27, der seiner eigenen mütterlichen deutschen und protestantischen Familie
neben den germanischen auch keltische Ursprünge einräumt, die tschechischen und engli-
schen Einschläge in der Familie seiner Frau darstellt, um schließlich festzustellen, dass seine
Kinder „so ziemlich die ganze buntscheckige Völkerkarte von Europa und Vorderasien in
sich vereinigen und in noch größerer Verlegenheit wegen der Beantwortung jener Frage sein
werden“. Somit kommt er zu dem Schluss, dass er „als gewissenhafter Staatsbürger und auf
Grund der gesicherten Resultate meiner Rassenforschung dabei beharren wird müssen, dass
ich die Frage, die mir der Staat vorlegt, nicht beantworten kann“28.
25 Vgl. Abfrage der Friedhofsdatenbank der Israelitischen Kultusgemeinde Wien : Währinger Friedhof, bestattet
am 13.05.1872, Reihe 1, Grab 76 : http://friedhof.ikgwien.at/result.asp ?lang=de&bereich=&friedhof=0&gru
ppe=1&reihe=&grab=76&angrenzung=1&sort=0&alpha=&strSort%20& (letzter Zugriff am 22.10.2015).
26 Gudrun Exner, Josef Kytir, Alexander Pinwinkler, Bevölkerungswissenschaft in Österreich in der Zwi-
schenkriegszeit (1819–1938). Personen, Institutionen, Diskurse (Wien 2004) 170.
27 Houston Stewart Chamberlain (1855–1927) publizierte 1899 in München die „Grundlagen des 19. Jahrhun-
derts“, in denen er im Gedanken des Rassismus, des Sozialdarwinismus und des Antisemitismus die Überle-
genheit der deutschen Rasse beschwor, wodurch er zu einem Vorreiter der nationalsozialistischen Ideologie
wurde – so bezieht sich Adolf Hitler in „Mein Kampf“ mehrere Male auf Chamberlain, vgl. David Clay Large,
Ein Spiegelbild des Meisters ? Die Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain, in : Richard Wagner und die
Juden, hg. v. Dieter Borchmeyer, Ami Maayani, Susanne Vill (Berlin/Heidelberg 2000) 144–159.
28 Ludo Moritz Hartmann, Frage an den Rassenforscher Frank, Reprint in : Spurensuche. Zs. für Geschichte
der Erwachsenenbildung und Wissenschaftspopularisierung 11/3–4 (2000) 89–90.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625