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78 Celine Wawruschka
bau des Faches zeigte und stark in einschlägige Besetzungsangelegenheiten eingriff. So war
von Seiten des Ministeriums der Kreis der Kandidaten für eine Inlandsprofessur strikt auf
Inländer beschränkt, die zur Jahrhundertwende immer strengeren politischen und religi-
ösen Maßstäben gerecht werden mussten. Das katholische Glaubensbekenntnis gewann
zunehmend an Bedeutung, wenn nicht durch das Ministerium, dann durch den Kaiser.
Jüdischen Historikern wurde das Fortkommen erschwert, wobei der wachsende Antise-
mitismus im Ministerium viel offener zutage trat als an der Philosophischen Fakultät.
Schließlich forderte die Regierung in politischer Hinsicht von den Historikern Loyalität
gegenüber der Dynastie und dem Staat Österreich-Ungarn, sollte die Geschichtswissen-
schaft doch nicht zuletzt ihre Legitimationsfunktion für den Staat erfüllen68. Der fort-
schreitende Antisemitismus der Ersten Republik führte schließlich auch zum Boykott von
Hartmanns Lehrveranstaltungen durch deutschnationale Studenten, weil er ihnen „wegen
seiner sozialistischen Gesinnung und halb jüdischen Abstammung als ein Schädling des
deutschen Volkes galt“69.
Der Historiker Wilhelm Bauer, zu jener Zeit außerordentlicher Professor am IÖG,
gründete 1917 die von ihm redigierte und herausgegebene Zeitschrift „Österreich“, in der
Historiker „vor der Öffentlichkeit ihre Stimme erheben sollten für unser geschichtliches
und nur geschichtlich ganz begreifbares Österreich. Österreich sollte als Kulturerschei-
nung in seiner Geschichte […] aufgesucht werden, und Hand in Hand damit hätte […]
die Erziehung zum Staate […] zu gehen“70. Diese Zeitschrift, die vom Außenministerium
mitfinanziert wurde, nahm alle deutschsprachigen Historiker Österreichs auf – mit der
Ausnahme Hartmanns71. Die Annahme von Herbert Dachs, dass man Hartmann entwe-
der wegen seiner sozialistischen Gesinnung gar nicht gefragt oder dieser von sich aus eine
Mitarbeit abgelehnt hatte72, erscheint durch die Person Bauers, der zwar wie Hartmann
ein Verfechter der großdeutschen Lösung war, allerdings mit massiven antisemitischen
Tendenzen73, etwas euphemistisch formuliert zu sein.
68 Ranzmeier, Professorenkollegium (wie Anm. 67) 287–289.
69 Stein, Hartmann (wie Anm. 14) 317.
70 Herbert Dachs, Österreichische Geschichtswissenschaft und Anschluss 1918–1930 (Wien/Salzburg 1974) 4.
71 Ulfried Burz, Austria and the Great War : Official Publications in the 1920s and 1930s, in : Forging the Coll-
ective Memory. Government and International Historians through Two World Wars, hg. v. Keith Wilson
(Oxford 1996) 180, siehe auch : Dachs, Österreichische Geschichtswissenschaft und Anschluss (wie Anm.
70) 130–132.
72 Ebd. 5.
73 Vgl. Gernot Heiss, Die ‚Wiener Schule der Geschichtswissenschaft‘ im Nationalsozialismus : ‚Harmonie
kämpfender und rankescher erkennender Wissenschaft‘ ?, in : Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus.
Das Beispiel der Universität Wien, hg. v. Mitchell G. Ash, Wolfram Niess, Ramon Pils (Göttingen 2010)
401–403 ; Martin Scheutz, Wilhelm Bauer (1877–1953). Ein Wiener Neuzeithistoriker mit vielen Gesich-
tern. „Deutschland ist kein ganzes Deutschland, wenn es nicht die Donau, wenn es Wien nicht besitzt“, in :
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625