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Ludo Moritz Hartmann (1865–1924) 81
mann fungierte. Unter den Mitgliedern fanden sich neben Hartmann Michael Hainisch,
Sozial- und Wirtschaftspolitiker und späterer Bundespräsident der Republik Österreich,
sowie Josef Redlich, damals Mitglied des Reichrats ; unter den Vortragenden befand sich
Rudolf Goldscheid, ein Pionier der Sozialwissenschaften. Der „Sozialwissenschaftliche
Bildungsverein“ war eine angesehene Einrichtung mit Universitätsnähe, der eine Paral-
leleinrichtung zur Gesellschaft der Fabier des gebildeten und sozialpolitisch interessierten
Bürgertums darstellte, indem er sozialwissenschaftliches und insbesondere nationalöko-
nomisches Wissen fördern wollte80. Seine Bedeutung erlangte er dadurch, dass in der Ge-
sellschaft betreffende Themen vorgetragen und diskutiert wurden, deren Behandlung den
offiziellen Lehrkanzeln der Universität schlichtweg als Sakrileg galt81. Nach der Gründung
der „Soziologischen Gesellschaft in Wien“ beendete der „Wiener Sozialwissenschaftliche
Bildungsverein“ seine Tätigkeit82.
Die „Soziologische Gesellschaft“ wurde 1907 von Rudolf Goldscheid, Karl Renner, Jo-
sef Redlich, Michael Hainisch, Julius Ofner, Wilhelm Jerusalem, Max Adler, Rudolf Eis-
ler, Rosa Mayreder, Kurt Kaser und Hartmann gegründet83. Die Motive für die Gründung
der „Wiener Soziologischen Gesellschaft“ lassen sich am eindeutigsten aus ihren Statuten
entnehmen, die 1907 von Goldscheid und Hartmann bei der k. k. Statthalterei von Wien
eingereicht und anschließend auch in gedruckter Form der Öffentlichkeit zugänglich ge-
macht wurden. Als Zweck des Vereines wurde festgehalten, dass dieser „das Verständnis
und das Wesen und die Bedeutung der Soziologie und die Kenntnis und Erkenntnis so-
ziologischer Tatsachen in streng wissenschaftlicher Weise fördern und verbreiten“ wollte.
Dieser Zweck sollte durch die „Abhaltung von Vorträgen und Kursen sowie Diskussio-
80 Wolfgang Fritz, Gertraude Mikl-Horke, Rudolf Goldscheid – Finanzsoziologie und ethische Sozialwissen-
schaft (Münster 2007) 178.
81 Anton Amann, Soziologie in Wien. Entstehung und Emigration bis 1938, in : Vertriebene Vernunft I. Emig-
ration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940, hg. v. Friedrich Stadler (Wien 1987) 223.
82 Fritz, Mikl-Horke, Goldscheid (wie Anm. 80) 178.
83 Adler, Zum Gedächtnis (wie Anm. 79) 104 : Hier wird das Jahr 1905 als Gründungsdatum angegeben, das
allerdings allen anderen Angaben, die 1907 als das Gründungsdatum der Soziologischen Gesellschaft in Wien
anführen, widerspricht, vgl. Christian Fleck, Ludo M. Hartmann : Der Historiker als ‚Auch-Soziologe‘, in :
Filla, Judy, Knittler-Jux, Aufklärer und Organisator (wie Anm. 2) 38. Als neueste Quelle und Monogra-
phie über die Soziologische Gesellschaft in Wien vgl. dazu Gudrun Exner, Die Soziologische Gesellschaft in
Wien (1907–1934) und die Bedeutung Rudolf Goldscheids für ihre Vereinstätigkeit (Wien 2013). Anderer-
seits spekuliert Exner (ebd. 20) aufgrund der persönlichen brieflichen Einladungen Goldscheids an potentielle
Vortragende, aufgrund der Tatsache, dass die Soziologische Gesellschaft ihren Vereinssitz in der Privatwoh-
nung Goldscheids hatte und schlussendlich weil nach Goldscheids Tod im Jahr 1931 keine Vereinstätigkeit
mehr nachweisbar war, dass Goldscheid als der alleinige Gründer der Soziologischen Gesellschaft angesehen
werden kann, auch wenn Hartmann mit ihm zusammen die Vereinsstatuen erstellt hat. Dem ist entgegenzu-
halten, dass Hartmanns Briefwechsel in dieser Hinsicht zu untersuchen sei und dass Hartmann einige Jahre
vor Goldscheid, im Jahr 1924, verstorben ist.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625