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Ludo Moritz Hartmann (1865–1924) 87
von Vorlesungen gestaltet und teilten sich in Anschauungsunterricht, Experimenten, prak-
tischen Übungen, Seminaren und Exkursionen auf. Auch Diapositive, deren Bestand mit
den Volkstümlichen Universitätskursen, dem Volksbildungsverein und dem Volksheim ge-
teilt wurde, wurden im Unterricht eingesetzt. Das Kassabuch des Vereins verzeichnet für
den 12. Dezember 1918 die letzte Auszahlung von Dozentenhonoraren. Am 19. Juni 1921
wurde die Auflösung des Vereins in der „Wiener Zeitung“ offiziell bekannt gegeben102.
Doch Hartmann setzte sich nicht nur für die Schulbildung und die Erwachsenenbil-
dung in bislang in dieser Hinsicht benachteiligten Klassen ein. Zusammen mit Michael
Hainisch, dem späteren Bundespräsidenten, und Otto Wittelshöfer, Bankdirektor und
Volkswirt, gründete Hartmann die „Wiener Gesellschaft der Fabier“, an deren Vortrags-
abenden auch Viktor Adler, Engelbert Pernerstorfer und andere sozialistische Führer er-
schienenen103. Die „Fabian Society“ war in Großbritannien im März des Jahres 1884
entstanden und hatte es sich zum Ziel gemacht, „die Gesellschaft auf eine Weise zu re-
konstruieren, die allgemeine Wohlfahrt und Glück sichern sollte“104. Die Gesellschaft
der Fabier bezog ihren Namen von dem römischen General Quintus Fabius Maximus,
auch Cunctator, der Zögernde, genannt, und gilt als eine der Wegbereiterinnen der Bri-
tischen Labour Party. Allein schon der Namenspatron lässt das Zielpublikum der Fabier
erkennen : das gebildete und aufgeklärte Bürgertum. Außerhalb Großbritanniens hat die
„Fabian Society“ selbst keine weiteren Zweige gegründet, dennoch entstanden allein in
Europa von der Gründung der britischen „Fabian Society“ bis zum Ausbruch des Ersten
Weltkriegs zahlreiche lokale Gesellschaften der Fabier. Die „Fabian Society“ hatte nichts
gegen Neugründungen unter ihrem Namen, war allerdings auch nicht bereit, für diese
„Filialen“ Verantwortung zu übernehmen. Es wurde sogar bezweifelt, ob die Fabian Soci-
ety von der „Wiener Gesellschaft der Fabier“ überhaupt wusste105.
Hartmanns volksbildnerisches Engagement schlug sich auch publizistisch nieder. Seine
als wissenschaftliches Projekt angelegte, von Friedrich Engel-Jánosi als „Krönung“ seiner
Volkshochschultätigkeit bezeichnete „Weltgeschichte in gemeinverständlicher Darstel-
lung“ konnte Hartmann nicht mehr vervollständigen. Diese achtbändige Weltgeschichte
ist jedoch sowohl als Werk eines wissenschaftlichen Kollektivs, das einzelne Spezialbereiche
abdeckte, als auch als populärwissenschaftliches Konzept seiner Zeit voraus gewesen106.
102 Ebd. 99–115.
103 Adler, Zum Gedächtnis Ludo M. Hartmanns (wie Anm. 79) 106.
104 Edward R. Pease, The History of the Fabian Society (New York 1916) Kapitel 3 ; online verfügbar unter :
https://ia600301.us.archive.org/8/items/thehistoryofthef13715gut/13715-h/13715-h.htm#Chapter_II (letz-
ter Zugriff 19.09.2014) ; vgl. auch Fuchs, Geistige Strömungen in Österreich (wie Anm. 49) 70.
105 Margaret Cole, The Story of Fabian Socialism (London 1961) 346f.
106 Vgl. Friedrich Engel-Jánosi, Ludo M. Hartmann und das Problem der Gewalt, in : Zeitgeschichte 4/4
(1976/77) 80.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625