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88 Celine Wawruschka
6. der politiker ludo hartmann
Um 1901 trat Hartmann der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) bei107. Kurz
darauf gründete Hartmann zusammen mit Heinrich Friedjung 1901 den „Politischen
Aufklärungsverein“, der die „Masse des Volkes“ politisch bilden sollte. Dieser Verein war
in erster Linie gegen die Christlichsoziale Partei gerichtet und bekämpfte den Antise-
mitismus. 1902 unterstützte er die Kompromisskandidaten der Sozialpolitischen Partei,
der Fortschrittspartei und der Sozialdemokraten gegen den christlichsozialen Kandidaten,
wobei Hartmann Obmann des Wahlkomitees war108. Im Juni 1911 kandidierte Hart-
mann – allerdings erfolglos – in seinem Wohnbezirk Josefstadt als Kandidat der SDAP bei
den Reichsratswahlen109. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war Hartmann nahezu fünfzig
Jahre alt. Er soll jedoch nicht nur zur Musterung einberufen worden sein, sondern diese
auch bestanden und sich darauf vorbereitet haben, mit einigen seiner Schüler ins Feld zu
ziehen. Die Universität Wien bewirkte jedoch – unter großen Protestbezeugungen Hart-
manns – seine Befreiung vom Wehrdienst110.
Am 24. Dezember 1915 suchte eine Deputation mehrerer Professoren von Wiener
Hochschulen – dem Initiativkomitee gehörten unter anderem Eugen von Phillipovic,
Richard von Wettstein und die beiden Historiker Hans Uebersberger und Hartmann
an – den Ministerpräsidenten, den Unterrichtsminister, den Minister des Inneren sowie
107 Über das Datum von Hartmanns Parteieintritt finden sich unterschiedliche Angaben, die sich jedoch darin
einig sind, dass er „lange vor dem Ersten Weltkrieg“ stattgefunden hat, vgl. Susanne Miller, Das Ringen
um „die einzige großdeutsche Republik“. Die Sozialdemokratie in Österreich und im Deutschen Reich zur
Anschlußfrage 1918/1919, in : Archiv für Sozialgeschichte 11 (1971) 1–67, hier 23, Anm. 78. Für weitere
Belege siehe auch Reimpell, Friedjung (wie Anm. 2) 53, Anm. 292.
108 Ebd. 61 ; Eva Holleis, Die Sozialpolitische Partei. Sozialliberale Bestrebungen in Wien um 1900 (Schriften-
reihe des Instituts für Österreichkunde, Wien 1978) 81, Anm. 15, 18.
109 Stein, Hartmann (wie Anm. 14) 317. Auch hier wurde Hartmann mit Antisemitismus konfrontiert : So
wurde er im „Deutschen Volksblatt“ als „konfessionsloser polnischer Jude“ beschrieben, der „wie jeder Sozi-
aldemokrat national indifferent und indolent“ sei und nun hoffe, durch seinen „Schwur zur sozialdemokra-
tischen Fahne zu einer Professur zu kommen“, vgl. Deutsches Volksblatt, 19.06.1911, 3. Auch die populäre
Satirezeitschrift „Kikeriki“, die mit dem zunehmenden Einfluss des Bürgermeisters Karl Lueger immer anti-
semitischer wurde, „dichtete“ das „Wiener Wahl-A-B-C“ : „… Der Heilinger [Alois Heilinger, deutschnatio-
naler Kandidat] der wird gewählt, Hartmann dazu ein Stückel fehlt. An Junis Iden wird schachmatt der Jude
in der Josefstadt“, in : Kikeriki 47, 11.06.1911, 2.
110 Richard Charmatz, Dr. Ludo M. Hartmann. Deutschösterreichischer Gesandter in Berlin, in : Neues Wie-
ner Journal, 25.12.1918, 2, online verfügbar unter : http://anno.onb.ac.at/cgicontent/anno?aid=nwj&datum
=19181225&seite=2&zoom=33&query=%22Ludo%22%2B%22Hartmann%22%2B%22Jude%22&prov
ider=P02&ref=anno-search (letzter Zugriff 16.09.2014). Ein sehr überschwänglicher Artikel, in dem Char-
matz Hartmann als „Großdeutschen und Demokraten“ bezeichnet. Charmatz seinerseits war ein Historiker,
Journalist und wissenschaftlicher Schriftsteller, der zum Kreis um Heinrich Friedjung gehörte, einem Mitver-
fasser des Linzer Programms.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625