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Hermann Wopfner (1876–1963) 99
des stellvertretenden Vorstandes und referierte 1897 über „Luther“. Die Aufzeichnungen
des Clubs vermerken, dass dieser Vortrag eine sehr rege Debatte entzündet hatte6.
Eine Vorlesung Pastors über das 16. Jahrhundert ließ in Wopfner den Entschluss reifen,
sich mit dem Tiroler Bauernrebell Michael Gaismair und dem Bauernkrieg zu befassen.
Die Beschäftigung mit dem Werk „Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter“ von Karl
Lamprecht vermittelte ihm erstmals Einblick in die Agrargeschichte und das bäuerliche
Wirtschaftsleben der Vormoderne7. Bevor es Wopfner nach Leipzig zu Lamprecht zog,
besuchte er 1897/98 als außerordentliches Mitglied Übungen am Institut für österreichi-
sche Geschichtsforschung in Wien. Dort lernte er als Lehrer Oswald Redlich sowie Alfons
Dopsch kennen und entwickelte ein „freundschaftliches Verhältnis“ zu Harold Steinacker‚
der ihm später in Innsbruck ein „hochgeschätzter Kollege und lieber Freund wurde“8.
Ab Mai 1898 studierte Wopfner in Leipzig am Seminar von Lamprecht und trug ihm
seinen Plan vor, eine Geschichte des Tiroler Bauernkrieges und seiner Ursachen zu verfas-
sen. Bleibenden Eindruck auf Wopfner machten die Lehrveranstaltungen des Mediävis-
ten Gerhard Seeliger sowie des Nationalökonomen Karl Bücher, dessen „Entstehung der
Volkswirtschaft“ er bereits kannte9. In Leipzig wurde Wopfner durch seine Kommilitonen
mit der Ansicht konfrontiert, ein Student dürfe nicht nur in der Stube hocken, sondern
„müsse das Volk kennen lernen“, er „müsse ‚unter das Volk gehen‘“. Ein Gedanke, der
ihm gefiel und den er bei den Wahlen für den deutschen Reichstag 1898 praktizierte, in-
dem er Wahlversammlungen verschiedener Parteien besuchte. Diese Besuche hinterließen
bei Wopfner allerdings nicht das Gefühl, „das Volk“ kennenzulernen. Emotional näher
gingen ihm, der bereits in seinen ersten Studienjahren in Innsbruck dem „Akademischen
Leoverein“ katholischer Studenten beigetreten war, die Besuche von Menschen aus der
Arbeiterklasse, die er im Rahmen seiner Mitgliedschaft beim örtlichen Vincenzverein in
plomarbeit Innsbruck 2003), sowie Gertraud Wilfling, Der akademische Historikerklub an der Universität
Innsbruck. Das zweite Jahrzehnt 1882–1892. Edition der Klubchronik (Diplomarbeit Innsbruck 2011).
6 UAI, Annalen des acad. Historiker-Clubes zu Innsbruck. IV. ordtl. Versammlung am 19.01.1897. Allgemein
zum Club vgl. Gertraud Wilfling, Akademische Fachvereine am Beispiel des „akademischen Historiker-
klubs“ der Universität Innsbruck, in : historia.scribere 3 (2011) 81–117, [http://historia.scribere.at], 2010–
2011, eingesehen 20.07.2016.
7 Karl Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter 3 in 4 Bänden (Leipzig 1885/1886).
8 Wopfner, Selbstdarstellung (wie Anm. 3) 169–170. Zu Redlich siehe den Beitrag von Johannes Holeschofsky
in diesem Band, zu Dopsch und Steinacker siehe Thomas Buchner, Alfons Dopsch (1868–1953). Die „Man-
nigfaltigkeit der Verhältnisse“, in : Österreichische Historiker 1900–1945. Lebensläufe und Karrieren in Öster-
reich, Deutschland und der Tschechoslowakei in wissenschaftlichen Porträts [1], hg. v. Karel Hruza (Wien/
Köln/Weimar 2008) 155–190 ; Renate Spreitzer, Harold Steinacker (1875–1965). Ein Leben für „Volk
und Geschichte“, in : ebd. 191–223.
9 Wopfner, Selbstdarstellung (wie Anm. 3) 170, sowie Karl Bücher, Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs
Vorträge (Tübingen 1893 ; zahlreiche Nachdrucke bis 1925).
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625