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112 Wolfgang Meixner und Gerhard Siegl
In seinen frühen Schaffensjahren bis 1917 beschäftigte sich Wopfner intensiv und fast aus-
schließlich mit agrar- und rechtsgeschichtlichen Themen. Sein Interesse für Volkskunde
ist vor 1918 praktisch gar nicht greifbar und scheint in Wopfner erst um sein 40. Lebens-
jahr erwacht zu sein. Die Teilung Tirols wirkte dabei als auslösendes oder verstärkendes
Moment. In den ersten Nachkriegsjahren widmete Wopfner seine Arbeitskraft der Volks-
kunde, die für ihn mehr „Heimatkunde“ war und neben der Lehrerausbildung mitunter
dazu diente, Argumente für das „deutsche Wesen“ Südtirols zu liefern. Seine überwiegend
in den 1920er Jahren erschienenen Publikationen zu Südtirol und zur Siedlungsgeschichte
dienten ebenfalls dem Zweck, die als ungerecht empfundene Teilung Tirols mit wissen-
schaftlichen Argumenten rückgängig zu machen, ein Vorhaben, das er mit vielen Innsbru-
cker Wissenschaftern aller Disziplinen teilte. Ob der zweifellos patriotisch gesinnte Wopf-
ner die Volkskunde primär zur wissenschaftlichen Verteidigung der Landeseinheit in sein
Œuvre aufgenommen hatte, mag vorerst nur thesenartig formuliert werden ; seine abrupt
einsetzende Publikationstätigkeit in diesem Bereich ließe diesen Schluss aber zu. „Tiroler
Volkskunde“ war für Wopfner jedoch in erster Linie „Bauernkunde“, daher lagen auch
seine Forschungsinteressen auf diesem Gebiet. So sind beispielsweise seine vielen Aufsätze
über Häuserformen kaum mit tagespolitischen Absichten in Verbindung zu bringen.
Ein weiterer Fokus Wopfners in dieser Zeit – übrigens auch in den Jahren nach dem
Zweiten Weltkrieg – lag auf der Verfassungsgeschichte Tirols und Publikationen zur „Ti-
roler Landesfreiheit“. Letztere sah er durch die frühe Abschaffung der Leibeigenschaft,
die bäuerlichen Rechtsverhältnisse (Erbleihe in weiten Teilen des Landes), die politische
Mitwirkung des Bauernstandes und die besondere Wehrverfassung Tirols seit Maximilian
I. begründet. Herausragend ist die Anzahl von Wopfners Buchbesprechungen, die etwa 41
Prozent seiner Publikationen ausmachen. Wurde er bei Fachprüfungen als „milde“ cha-
rakterisiert65, so trifft diese Einschätzung auch auf seine Rezensionen zu, denn Wopfner
neigte offenbar dazu – so sein Schüler Nikolaus Grass – „Arbeiten, die sein eigentliches
Forschungs- und Interessensgebiet betrafen, freundlich und nachsichtig zu beurteilen“66.
Außer in österreichischen Rezensionsorganen erschienen seine Besprechungen auch in der
„Historischen Zeitschrift“, der „Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“
und der „Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte“. Die mit großem Abstand
meisten Rezensionen brachte er jedoch in dem von ihm geleiteten Jahrbuch „Tiroler Hei-
mat“ unter.
65 Nikolaus Grass, In memoriam. Hermann Wopfner †, in : ZRG GA 81 (1964) 549–551, hier 550.
66 Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (= TLMF), NL Nikolaus Grass (= NL NG), Korrespondenz mit Wopf-
ner, Erstgutachten von Grass zur Dissertation von Wolfgang Mayr vom 07.01.1960. Für die zuvorkommende
Hilfestellung bei der Benützung der kaum erschlossenen Nachlässe von Grass und Wopfner im TLMF gilt
unser Dank Ellen Hastaba.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625