Seite - 166 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
Bild der Seite - 166 -
Text der Seite - 166 -
166 Marija Wakounig
wurde, spielte sich die Arbeitsteilung in der Lehre und Forschung von Anfang an ein : Der
provisorische Vorstand Jireček war weiterhin für die „Slawische Philologie und Altertums-
kunde“ mit Schwerpunkt Balkangeschichte des Mittelalters zuständig, sein so genannter
Gehilfe Uebersberger übernahm wie selbstverständlich die „Geschichte Osteuropas“ mit
Schwerpunkt Russland und Polen. Damit war die Zweiteilung des Faches Osteuropäische
Geschichte für die nächsten Jahrzehnte bis 1948 programmiert42.
Von der Idee bis zur Realisierung des „Seminars für osteuropäische Geschichte“ war
die Erforschung der russischen Geschichte das „initial incentive“. Ohne Fokus auf die
russische Geschichte gäbe es das Institut gar nicht oder in anderer Form wesentlich spä-
ter. Es war auch nicht abträglich, dass es zur Entfremdung zwischen Jagić und Jireček
gekommen war, weil das Institut damit von Anfang an mit zwei Teilgebieten der osteu-
ropäische Geschichte in zeitlicher Tiefe und thematischer Breite startete und als ersten
Vorstand eine bereits arrivierte Forscherpersönlichkeit vorweisen konnte. Und, das „Se-
minar für osteuropäische Geschichte“ war nicht die Idee von Uebersberger, wie es Jireček
via Tagebuch der Nachwelt mitteilte und damit wahrscheinlich Interpretationen nach der
inhaltlichen Ausrichtung seiner Professur nach dem Wechsel vom philologischen zum
historischen Seminar geschickt manipulierte43. Die verdichtete Annahme, dass es Uebers-
bergers Idee war, hat auch dieser selbst kräftig befördert44, um seine wahren Beweggründe,
ein Ordinariat zu ergattern, gewieft zu verschleiern. Die diesbezüglichen schriftlichen
Aufzeichnungen der beiden sind zwar nicht übereinstimmend, setzten aber in der For-
schung eine deckungsgleiche Meistererzählung durch, nämlich, dass der übertrieben ehr-
geizige Dozent (Uebersberger) einem finanzkräftigen Adeligen (Liechtenstein) „sein“ In-
stitut aufgeschwatzt und den durchgeistigten Professor (Jireček) damit übertölpelt habe.
Die Gegenprobe anhand von Liechtensteins Quellencorpora (private und semioffizielle
Korrespondenz, diplomatische Akten etc.) hat ergeben45, dass die Idee einer Erforschung
diplomatischer Quellen schon vor der Bekanntschaft des Prinzen mit Uebersberger sehr
manifest war und sich auch die Idee einer Institutionalisierung der Russischen Geschichte
bereits davor abzeichnete. Uebersbergers Streben nach einer hohen Universitätskarriere
42 Zum Institut für Balkankunde und Carl Patsch vgl. Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) 154–171, sowie
Horst Haselsteiner, Carl Patsch (1865–1945), in : Osteuropäische Geschichte, hg. Suppan, Wakounig,
Kastner (wie Anm. 3) 189–198.
43 Vgl. die zu geringe Quellenkritik bezüglich der subjektiven Tagebucheintragungen von Jireček bei Leitsch,
Stoy, Seminar (wie Anm. 2) 72, 75, 78 usw.
44 Zu den unterschiedlichen und anlassbedingten, von Uebersberger im Laufe der Jahre kolportierten „Legen-
den“ der Institutsgründung siehe ebd. 127f.
45 Vgl. dazu Liechtenstein an Hampe, Florenz 16.12.1900, HFL, 352. Zitiert auch bei Wakounig, Gransei-
gneur (wie Anm. 17) 79 ; Liechtenstein an Aehrenthal, Wien 04.06.1900, NL Aehrenthal, siehe dazu auch
Nachlaß Aehrenthal, hg. Wank, Grafinger, Adlgasser (wie Anm. 24) 297f.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625