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Adolf Helbok (1883–1968) 201
Vorfahren95 hatte lange in München gelebt und dort 1906 auch den norwegischen Ma-
ler und Simplicissimus-Karikaturisten Olaf Gulbransson geheiratet ; diese 1923 einver-
nehmlich geschiedene Ehe näherte sich damals schon ihrem Ende, die Schriftstellerin
verlegte ihren Lebensmittelpunkt wieder in ihre erste Heimat und plante die Abfassung
von Literaturwerken mit spezifisch Vorarlberger Themen, wobei ihr Helbok in seiner
Eigenschaft als Lokalhistoriker und Heimatforscher beratend zur Seite stand. Für Helbok
bedeutete diese Freundschaft augenscheinlich sehr viel, denn sie nimmt in seinen „Er-
innerungen“ über fünf Seiten ein96 ; dass die Schriftstellerin nicht anders empfand und
seine Rolle als Berater97 sehr hoch einschätzte, zeigen ihre mittlerweile auszugsweise ver-
öffentlichten Tagebücher aus den Jahren 1927 bis 193498. Bemerkenswerterweise hatte
die Verbindung Bestand, obwohl sich Helbok in den Augen der Freundin immer wieder
als Streitgockel und rechter Gewaltmensch aufführte99 und die generell eher unpolitisch-
95 Helboks Einstellung zum Adel war komplex, aber insgesamt doch eher die eines Reaktionärs. In seiner „Deut-
schen Volksgeschichte“ 2 (wie Anm. 32) 478 erkennt er der Großen Französischen Revolution, nicht aber
einer deutschen Revolution eine Berechtigung zu : „Während das französische Volk sich gegen seinen ver-
brecherisch gewordenen Adel, gegen ein System des Blutsaugertums aus Gründen der natürlichsten Men-
schenrechte mit der Parole der Freiheit und der daraus folgenden Gleichheit aller wandte […], hatten die
Deutschen, aus einer Situation des Gottesgnadentums stammend, eine völlig andere Welt um sich“, die sie
in Helboks Augen offenbar nicht zu einer Auflehnung berechtigte (478) ; vgl. besonders die augenscheinlich
nicht kritisch, sondern affirmativ gemeinte Darstellung ebd. 459 : „Wir hatten nie eine Despotie, brauchten
also nicht in das Extrem der schrankenlosen Freiheit zu verfallen. Uns war Freiheit : aus eigenem Willen unter
die Führung ehrbarer, bewährter Leute zu treten und ihnen dann vertrauensvoll alles zu überlassen. Daraus
erwuchs dem germanischen Menschen die innere Freiheit. Er scheute es, sich unter den Druck und die Lasten
einer öffentlichen Meinung und ihr tägliches Getriebe zu stellen.“ Den Adel des Mittelalters hat er überhaupt
völlig idealisiert und idolisiert, aber auch die zeitgenössischen Junker imponierten ihm, die er „im Rahmen des
Herrenklubs“ getroffen haben will (HelBok, Erinnerungen [Bibl.] 103). Vgl. auch Meixner, „… eine wahr-
haft nationale Wissenschaft der Deutschen…“ (Bibl.) 126 („Hang zum Elitären“). Unter diesen Umständen
hat er sich durch die Freundschaft mit der Schriftstellerin adeliger Abkunft auch gewiss schon im Hinblick auf
Letztere allein geehrt und gehoben gefühlt.
96 HelBok, Erinnerungen (Bibl.) 44–49. Vgl. auch In diesem Sitzungssaal, wo der Helbok ein goldenes Haar von
mir unter seinen Uhrendeckel getan hat. Oh wie ist meine Göttergestalt bei ihm von ihrem Piedestal herunterge-
stiegen in diesen 5 Jahren ! Ich hab’ nicht gehalten, was er sich von mir versprochen hat ! Weil ich auch träg bin ! :
GulBransson, Tagebücher 5 (Bibl.) 157 (12.10.1929).
97 O Du geliebte Erde. Blut und Erde ! Der Helbok hat nicht unrecht, dass er diesen anspruchsvollen Titel für mein
Buch [das dann tatsächlich den Titel „Geliebte Schatten“ trug] gewollt hat ! : GulBransson, Tagebücher 5
(Bibl.) 162. Helbok scheint etwas ermüdet und sehr von seinen eigenen Angelegenheiten erfüllt. Dennoch wird er ge-
wiss für die Chronik [d. h. den späteren Roman „Geliebte Schatten“] tun, was er kann. Ist sie doch letzten Endes
fast sein Kind, wenn wir an ihre Anfänge im Spätsommer des Jahres 1924 denken : ebd. 236.
98 Gerade jene aus der Zeit zwischen 1919 bis 1926, in der vermutlich der intensivste Kontakt bestanden hat,
sind der Öffentlichkeit leider noch nicht vorgelegt worden.
99 GulBransson, Tagebücher 5 (Bibl.) 94 (12.2.1929).
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625