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204 Martina Pesditschek
Was nun aber Helboks generelle Schwerpunktbildung in der wissenschaftlichen For-
schung anbelangt, so lag es für ihn schon als einen Schüler Wopfners und einen Freund
Aubins auf der Hand, sich statt der Staats- und Personengeschichte vielmehr noch bei wei-
tem nicht ausgeschöpften Themenbereichen wie Landesgeschichte, Siedlungsgeschichte
oder Volkskunde zuzuwenden und also jene Richtung einzuschlagen, die ihn schließlich
zum Konzept der „Volks(tums)geschichte“ führte. 1921 erschien sein erstes einschlägiges
programmatisches Werk, das Heftchen „Siedelungsforschung. Ein Weg zur geistigen und
materiellen Wiederaufrichtung des deutschen Volkes“112, das in vielerlei Hinsicht cha-
rakteristische inhaltliche und formale Eigenheiten späterer Arbeiten vorwegnimmt. So
zeigt schon der Untertitel, dass für Helbok Wissenschaft nicht einfach mit dem Ziel des
Erkenntnisgewinns, sondern immer zum Nutzen des deutschen Volkes betrieben werden
sollte113. Das ist damals allerdings nicht etwa nur auch die Auffassung von Aubin und der
zweiten Leipziger Leitfigur auf dem Gebiet der Landes- und Siedlungsgeschichte Rudolf
Kötzschke114 gewesen115 ; selbst der bedeutendere Historiker Ernst Kantorowicz (1895–
und er sagt : „Ich weiss es nicht“ […] Ich find’ es, bei seiner wissenschaftlichen Arbeitsüberbürdung[,] ja ein [sic]
Unsinn vom Helbok, dass er sich um diesen Mitarbeiter gebracht hat und sich selbst die ganze Heimat aufgehalst ;
ebd. 147f. (4.10.1929). Helbok hatte das Konkurrenzblatt „Feierabend“ (vgl. oben Anm. 109) zu Anfang
1929 offenbar „zu schlucken beabsichtigt“ ; Lang ebd. 94f. Anm. 172.
112 Adolf HelBok, Siedelungsforschung. Ein Weg zur geistigen und materiellen Wiederaufrichtung des deut-
schen Volkes (Berlin 1921) ; vgl. Ders., Erinnerungen (Bibl.) 64f.
113 Solche Bekenntnisse zu einer zweckgebundenen Wissenschaft sind dann auch in seinem späteren Werk Legion,
vgl. etwa Ders., Haus und Siedlung im Wandel der Jahrtausende, mit Heinrich Marzell, Garten und Pflanzen
(Deutsches Volkstum 6, im Auftrage des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde, hg. v. John Meier, Berlin/
Leipzig 1937) 121 : „Ist schon der Deutsche, der an unseres Volkes Grenzkampf keinen inneren Anteil nimmt,
ein armseliger Tropf, so ist es der Siedlungsforscher, der nicht all sein heißes Bemühen in den Dienst des Volkes
stellt, nicht in täglicher ernster Frage nach dem biologischen Schicksal des Volkskörpers Ausschau hält, erst recht.
Seine Pflicht ist es, im Daseinskampfe unseres Volkes mit seinem zu kleinen Raume die Waffen zu schmieden,
die es benötigt, das Ererbte festzuhalten und das Verlorene wiederzugewinnen“ ; Ders., Deutsche Geschichte
auf rassischer Grundlage (wie Anm. 36) 12 : „Es ist kein Zweifel möglich, daß die Geschichte vor allen anderen
Wissenschaften als Erste die große Aufgabe zu erfüllen hat, den Geist hochzustimmen und die Zeitgenossen für
die hohen Ideale des Volkes zu gewinnen, edle Vorbilder der Haltung aufzuzeigen, zu heroischer Tat anzuspornen
und überhaupt die völkischen Ideale zu pflegen.“ Es versteht sich von selbst, dass unter diesen Umständen das
gesamte Werk Helboks und seiner Schüler – ganz anders als jenes der „Annales“-Schule – unter ideologischem
Generalverdacht steht (vgl. etwa Peter Schöttler, Die intellektuelle Rheingrenze. Wie lassen sich die französi-
schen Annales und die NS-Volksgeschichte vergleichen ?, in : Die Nation schreiben. Geschichtswissenschaft im in-
ternationalen Vergleich, hg. v. Christoph Conrad, Sebastian Conrad [Göttingen 2002] 271–295), der freilich
in Einzelfällen ungerecht sein kann und überhaupt nicht zutreffen mag.
114 Siehe zur Person Anm. 115 und 139.
115 Laut Satzung vom Jahre 1921 gehörte es zu den Aufgaben von Aubins Bonner „Institut für geschichtliche
Landeskunde der Rheinlande“, „der Wissenschaft zu dienen und die Heimatliebe zu stärken“, vgl. oben
Anm. 57 und zum tendenziösen Charakter vieler Arbeiten Aubins auch noch Hans-Erich Volkmann, His-
toriker aus politischer Leidenschaft. Hermann Aubin als Volksgeschichts-, Kulturboden- und Ostforscher,
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625