Seite - 206 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
Bild der Seite - 206 -
Text der Seite - 206 -
206 Martina Pesditschek
zwischen verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, hier konkret zwischen Geschichte und
insbesondere Anthropologie121, vergleichender Sprachforschung122, Volkskunde123 und
offenbar auch schon Rassenkunde (Kraniometrie)124, er versucht sich schon hier gleich-
sam als Ein-Mann-Orchester, das heißt als jemand, der alle relevanten (auch nicht geistes-
wissenschaftlichen) Fächer selbst zu überblicken und in seiner eigenen Person zu vereinen
trachtet125. Da Universalgelehrtentum auch schon im Jahr 1921 nicht mehr möglich war,
läuft eine solche Attitüde natürlich darauf hinaus, dass sich Helbok auf den Gebieten
anderer Disziplinen als der Geschichte einfach jeweils jene Hypothese zu eigen macht, die
ihm selbst gerade am besten zu Gesicht steht. Beispielsweise hat Helbok hier126 und dann
auch später immer wieder die sogenannte „Urheimat“ der sogenannten „Indogermanen“
nach Deutschland (hier noch nicht so präzise „der europäische Norden“) verlegt127, ohne
121 HelBok, Siedelungsforschung. Ein Weg (wie Anm. 112) 22.
122 Ebd. 22–25.
123 Ebd. 26f.
124 Vgl. etwa ebd. 32 : „Die Alpen sind das Gebiet der Kurzköpfe, die norddeutsche Tiefebene das der Lang-
köpfe.“ Man muss fairerweise zugeben, dass sich für einen Geisteswissenschaftler der damaligen Zeit eine
auf Kraniometrie aufbauende Rassenkunde sehr wohl als aufstrebende neue exakte (Natur-)Wissenschaft
darstellen konnte. Die Kraniometrie hat bei Helbok dann bald darauf auch noch einmal in seinem Aufsatz
Ders., Der Anteil der Deutschen und der Italiener an Südtirol, in : Deutsche Rundschau 207 (April–Mai–
Juni 1926) 21–26, hier 25f. eine bedeutende Rolle gespielt, wo es u. a. heißt : „Schon Zuckerkandl wies 1883
darauf hin, daß es in Österreich oft merkwürdig sei, wie dolichozephal aussehende Schädel bei der Messung
subbrachyzephale oder brachyzephale Indizes ergeben“ (ebd. 26).
125 In „Deutsche Geschichte auf rassischer Grundlage“ (wie Anm. 36) 39f. nennt Helbok 1939 als „Hilfswis-
senschaften der Volkstumsgeschichte“ dann schon Geologie, Geomorphologie, Pflanzengeographie, Klima-
kunde, Vorgeschichte, Rassengeschichte, Sprachwissenschaft, Volkskunde, Statistik, Soziologie, Kultur- und
Geistesgeschichte, und in dieser Broschüre sucht er sogar die Hirnforschung betreffende Thesen von Maxi-
minian de Crinis, der wie er als Nazi vom „Ständestaat“ ins Deutsche Reich der Nazis emigriert war (vgl.
Hinrich Jasper, Maximinian de Crinis (1889–1945). Eine Studie zur Psychiatrie im Nationalsozialismus
(Abh. zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 63, Husum 1991) ; Thomas Beddies, Uni-
versitätspsychiatrie im Dritten Reich. Die Nervenklinik der Charité unter Karl Bonhoeffer und Maximinian
de Crinis, in : Die Berliner Universität in der NS-Zeit II : Fachbereiche und Fakultäten, hg. v. Rüdiger vom
Bruch unter Mitarbeit von Rebecca Schaarschmidt (Stuttgart 2005) 55–72), für die „Volkstumsge-
schichte“ nutzbar zu machen (24–26) ; vgl. HelBok, Erinnerungen (Bibl.) 123.
126 Ders., Siedelungsforschung. Ein Weg (wie Anm. 112) 22.
127 Dies hat zuerst übrigens ein deutscher Sprachphilosoph jüdischer Herkunft namens Lazarus Geiger getan,
vgl. etwa Clemens KnoBloch, „Volkhafte Sprachforschung“. Studien zum Umbau der Sprachwissenschaft
in Deutschland zwischen 1918 und 1945 (Reihe Germanistische Linguistik 257, Tübingen 2005) 188 (hier
auch das Zitat „Ohne den Indogermanisten aber sind diese Fragen nicht lösbar“ von Eduard Hermann). Vgl.
auch Pirker, Citadelle (wie Anm. 69) 67f. Für spätere Äußerungen Helboks zur „Urheimat“-Frage vgl. etwa
Adolf HelBok, Grundlagen der Volksgeschichte Deutschlands und Frankreichs. Vergleichende Studien zur
deutschen Rassen-, Kultur- und Staatsgeschichte (Berlin/Leipzig 1937) 95–107 ; Ders., Zur Klarstellung,
in : Zs. für Volkskunde 45 = Neue Folge 7 (1935[1937]) 329 ; allgemein zur Behandlung der „Urheimat“-
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625