Seite - 238 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
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238 Martina Pesditschek
sich in der ebenfalls 1935 veröffentlichten Programmschrift „Was ist deutsche Volksge-
schichte ?“305. Im selben Jahr 1935 hat Helbok schließlich auch noch im Heft „Vorarlber-
ger Heimatforschung“306 eine entsprechende Forderung aufgestellt307. Dass diese Passagen
auch schon von zeitgenössischen Lesern auf „die“ Juden bezogen worden sind, liegt auf
der Hand, aber dass Helbok selbst hier in erster Linie oder überhaupt an „die“ Juden
gedacht hat und ihre Ausweisung (wenn nicht gar Vernichtung) angemahnt hat, ist nicht
zu beweisen und im Hinblick auf die Gesamtevidenz sogar wenig wahrscheinlich. Im
Hinblick auf den Umstand, dass Helbok auch noch 1935 nicht immer klar zwischen
„Volk“ und „Rasse“ unterschieden hat, er eben in der Schrift „Was ist deutsche Volksge-
schichte ?“308 vor romanischem Vordringen im österreichischen Ständestaat warnt309, ihm
in einer wohl etwa 1938 geschriebenen Passage seiner „Deutschen Volksgeschichte“310 die
Gefahr einer „Verostung“ durch Slawen offenbar bedeutsamer schien als eine solche durch
jüdische Zuwanderung und hier auch „600 Negerbastarde“ als Folge der französischen
Rheinlandbesetzung beklagt werden, ist meines Erachtens die Annahme plausibler, dass
Helbok in den genannten drei Passagen vorrangig an Romanen, Slawen und etwa auch
Farbige gedacht hat.
In seiner Leipziger Zeit fand Helbok freilich Gefallen an der Behauptung, dass die
antisemitische Komponente der NS-Ideologie eine österreichische Erfindung sei311 (wäh-
sammenfließen, und eine muß die Dominante sein, sonst fehlt die Blutführung.“ Vgl. Hermann Bausin-
ger, Volksideologie und Volksforschung. Zur nationalsozialistischen Volkskunde, in : Zs. für Volkskunde 61
(1965) 177–204, hier 185 : „Man rechnet mit der „Möglichkeit asozialer Blutstämme“ ; dies ist die Formel
für den Antisemitismus, der in seiner Unerbittlichkeit und Unmenschlichkeit die rassischen Konzeptionen
weit überstieg, der aber von Anfang an doch das provozierende Gegenbild lieferte, von dem sich deutsch-
nordische Art abheben sollte.“ Gansohr-Meinel, „Fragen an das Volk“ (Bibl.) 99 schreibt nach erfolgter
Zitation der ihr skandalös scheinenden Passagen lapidar : „Zur historischen Einordnung des oben dargestell-
ten [sic] : Die Nürnberger Gesetze wurden am 15.9.1935 erlassen.“
305 HelBok, Was ist deutsche Volksgeschichte ? (wie Anm. 295) 5.
306 Ders., Vorarlberger Heimatforschung (wie Anm. 70).
307 „Alle deutschen Familien zusammen müssen als Herde unseres Volkes gleich rein
und heilig erhalten und gehütet werden. Das setzt voraus, daß wir von diesen
Herden : 1. Rassen ferne halten, die nicht unseres Blutes sind, 2. Ideen ferne halten, die der Gemeinschafts-
idee entgegen, unorganisch, also unsittlich sind“, wobei ausdrücklich auf die Behandlung dieser „Fragen“ im
Aufsatz „Der Problemkreis von der [sic] Volkskunde …“ verwiesen wird ; ebd. 8 (Sperrdruck im Original).
308 Ders., Was ist deutsche Volksgeschichte ? (wie Anm. 295).
309 Ebd. 67.
310 Ders., Deutsche Volksgeschichte 2 (wie Anm. 32) 372f.
311 Das scheint zu implizieren, dass Hitler in seinen österreichischen Jahren zum Antisemiten geworden sei ;
vgl. aber vielmehr etwa Rudolph Binion, „…daß ihr mich gefunden habt“. Hitler und die Deutschen : eine
Psychohistorie (Stuttgart 1978) 17f.; Michael Kellogg, The Russian Roots of Nazism. White Émigrés and
the Making of National Socialism, 1917–1945 (Cambridge 2005) 4 mit Literatur ; Othmar Plöckinger,
Unter Soldaten und Agitatoren. Hitlers prägende Jahre im deutschen Militär, 1918–1920 (Paderborn 2013)
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625