Seite - 245 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
Bild der Seite - 245 -
Text der Seite - 245 -
Adolf Helbok (1883–1968) 245
satz zu seinen früheren Arbeiten wird nun „die Frage nach dem Blute an erste Stelle“ gesetzt,
gleichzeitig aber „die Bedeutung der Umwelt“ nicht geleugnet341 ; die Naumannsche Zwei-
schichtentheorie wird am Ende nicht verworfen342, erfährt aber offenbar eine Inversion : „Wir
sprechen von der Mutter- oder Grundschicht des Volkes, die dem Boden näher, deren Volks-
tum naturhafter ist, und der Tochterschicht, deren Kultur weniger Erdgeruch hat, dagegen
eingetaucht ist in die Welt des Übervolklichen, in dem sich der Güteraustausch der Völker
vollzieht“343 ; die „Rasse der Indogermanen“, das heißt „nordisches Rassentum“ wird verklärt,
ohne aber etwa in einen Gegensatz zu „Semiten“ oder „Armenoiden“ gestellt zu werden344 ;
und dem Zentralinstitut der Zukunft werden auch bereits vier Abteilungen : „Bluträume,
Siedlungsräume, Zahlen- und Schichtenaufbau, Kulturformenräume“ zugewiesen345, die
dann freilich erst in späteren Arbeiten auch noch eine Hierarchisierung erfahren sollten346. Es
fehlt hier eigentlich nur noch das spätere Mantra vom „Rodungswerk“ als „Auslesevorgang
erbwertiger Familien“347.
Das Bändchen klingt alarmistisch aus348. Doch nicht nur dem verhassten „Ständestaat“
stellt Helbok hier ein vernichtendes Zeugnis aus, sondern auch gleich den Habsburgern :
„Den Habsburgern fehlte wie allen ihren Zeitgenossen ein rassisches Denken“349. Infol-
ker. Die Volkskunde ist also die Wissenschaft von der Mutterschicht der Kulturvölker, die Völkerkunde hinge-
gen ist die Wissenschaft über die Naturvölker.“
341 Ebd. 7 ; vgl. Pinwinkler, Historische Bevölkerungsforschungen (Bibl.) 155.
342 Obwohl es zunächst ganz danach aussieht, wenn Helbok ebd. 3 dekretiert : „Indem wir das Naturhafte und
also, so aufgefaßt, das Primitive in uns lieben, geht unsere Volkslehre aber auf das Ganze des Volkes, scheiden
wir weder Klassen noch Schichten.“
343 Ebd. 8f.
344 Ebd. 12f.
345 Ebd. 47.
346 Eine solche m.W. zuerst in : Ders., Zur Frage „Was ist Volk ?“ (wie Anm. 314) 420–424 : „[…] die Siedlungsge-
schichte ist das erste Stockwerk“, „Die Volkskörpergeschichte ist das zweite Stockwerk“, „das dritte Stockwerk, die
Rassengeschichte des deutschen Volkes“, „Der vierte Stock wird die völkische Kulturgeschichte sein.“ Als Helbok
dann in Leipzig entsprechende vier „Fachreferate“ einrichtete, behielt er die den beiden höheren „Stockwerken“ kor-
relierenden bezeichnenderweise für die Österreicher am Institut vor – das dritte für Ranzi, das vierte für sich selbst.
347 Vgl. oben S. 243 mit Anm. 332. Dieses zuerst in : Ders., Die Aufgaben der deutschen Landes- und Volks-
tumsgeschichte, in : Mitteldeutsche Blätter für Volkskunde 11,4 (August 1936) 97–111, hier 107f.
348 Ders., Was ist deutsche Volksgeschichte ? (wie Anm. 295) 66f.: „Im Kampfe um Österreich handelt es sich
für das deutsche Volk zu beiden Seiten seiner Grenzen um mehr als nur um eine Prestigefrage. Seit Jahrhun-
derten wird das Deutschtum aus dem Alpenraume von Süden her abgedrängt. […] Mit dem Vordringen Ita-
liens an den Brenner ist die strategische Bewegungsfreiheit der östlichen Längstäler in den Alpen gefährdet !
Und die Öffnung Österreichs für den italienischen Einfluß heute […] wird zur großen Schicksalsfrage für die
Alpendeutschen […]. Der Historiker fühlt sich heute in erschreckendem Maße an die Tage des römischen
Vordringens in den Alpen erinnert !“
349 Ebd. 69. Dabei mag Helbok auch an „die“ Juden in Wien gedacht haben. Explizit wird hier aber eine „Verju-
dung Wiens“, wie sie von so vielen (Proto-)Nazis beklagt worden ist, überhaupt nicht angesprochen.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625