Seite - 253 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
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Adolf Helbok (1883–1968) 253
ten waren392, der doch in der Tat ein hervorragend qualifizierter Kandidat393 war, wenn
man so wie damals Berve der „Siedlungsgeschichte gegenüber der Landesgeschichte“
den Vorzug geben394 und auf diese Weise die Einrichtung eines „Zentrums der deut-
schen Volkstumsforschung“ in Leipzig ermöglichen wollte395. Kötzschke konnte freilich
mit Helboks Respekt für seine Person und wissenschaftliche Leistung rechnen, aber die
Realisierung aller hochfliegenden Pläne seines Nachfolgers lag gewiss nicht in seinem
persönlichen Interesse, hätte auf diese Weise dann doch sein eigener Glanz verblassen
müssen.
Die erste Widrigkeit, die Helbok in Leipzig erfuhr, kam freilich augenscheinlich noch
nicht von der Kötzschke-Seite. Zu seiner großen Überraschung und Bestürzung wurde
vielmehr just seine Programmschrift „Was ist deutsche Volksgeschichte ?“396, mit der er
sich die Leitung eines zentralen „Instituts für deutsche Volksforschung“ zu erringen er-
hofft hatte, in einem Verlegergutachten der „Reichsstelle zur Förderung des deutschen
Schrifttums“ vom 8. Juli 1935 „scharf angegriffen397. Das Gutachten war im Auftrag des
392 Winfried Müller, Landes- und Regionalgeschichte in Sachsen 1945–1989. Ein Beitrag zur Geschichte der
Geschichtswissenschaften in der DDR, in : 100 Jahre Landesgeschichte (Bibl.) 345–448, hier 354.
393 So haben sich denn die längste Zeit auch immer wieder andere Historiker auf Helbok berufen, etwa Erich
Keyser (vgl. Czok, Zu Problemen [wie Anm. 12] 518 ; HelBok, Durch Volksgeschichte zur Neuform [wie
Anm. 228] 337 ; Alexander Pinwinkler, Volk, Bevölkerung, Rasse, and Raum. Erich Keyser’s Ambiguous
Concept of a German History of Population, ca. 1918–1955, in : German Scholars and Ethnic Cleansing,
1919–1945, hg. v. Ingo Haar, Michael FahlBusch (New York/Oxford 2005) 86–99], hier 89), Reinhard
Wittram (OBerkrome, Volksgeschichte [Bibl.] 181) und Wilhelm Wostry („Man sieht : es wurde und wird
in Prag und in Reichenberg praktisch betrieben, was Adolf Helbok 1933 [sic] der deutschen Volksgeschichte
als Ziel, Aufgaben und Wege zuwies“, siehe Ota Konrád, Geisteswissenschaften an der Deutschen Univer-
sität in Prag [1938/39–1945], in : Universitäten und Hochschulen im Nationalsozialismus und in der frü-
hen Nachkriegszeit, hg. v. Karen Bayer, Frank Sparing, Wolfgang Woelk [Stuttgart 2004] 219–248, hier
241), aber auch der Romanist Ernst Gamillscheg (vgl. Marnix Beyen, Eine lateinische Vorhut mit germa-
nischen Zügen. Wallonische und deutsche Gelehrte über die germanische Komponente in der wallonischen
Geschichte und Kultur [1900–1940], in : Griff nach dem Westen [wie Anm. 265] 351–381, hier 364). Vgl.
auch Müller, Landes- und Regionalgeschichte (wie Anm. 272) 354f.: „[…] machte die Berufung […] aber
doch auch Sinn […]“.
394 Ludwig, Adolf Helbok […] und die „Gleichschaltung“ (Bibl.) 81 ; vgl. UA Leipzig, PA 561, fol. 1–11.
395 Ebd. fol. 7, vgl. auch fol. 16. Berve versuchte damals als Dekan auch sonst unkonventionelle und der Tra-
dition zuwiderlaufende Besetzungen herbeizuführen, so wollte er niemand anderen als Oswald Spengler für
das Ordinariat am Lamprecht-Institut gewinnen, vgl. etwa Luciano Canfora, Politische Philologie. Alter-
tumswissenschaften und moderne Staatsideologien (Stuttgart 1995) 135f.; Middell, Weltgeschichtsschrei-
bung (Bibl.) 655f.; Jerry Z. Muller, The Other God That Failed. Hans Freyer and the Deradicalization of
German Conservatism (Princeton 1987) 238. Spengler hatte an einer Professur in Nazi-Deutschland freilich
keinerlei Interesse, andernfalls hätte er sich vielleicht für eine gewisse Zeit mit Helbok die Leitung seines
eigenen Instituts teilen müssen, siehe oben S. 249f. mit Anm. 375.
396 HelBok, Was ist deutsche Volksgeschichte ? (wie Anm. 295).
397 Hier hieß es : Ausgehend von nationalsozialistischen Anschauungen über Rasse und Volkstum, macht der Verfas-
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625