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260 Martina Pesditschek
dieser Konfrontation zwischen Leipzig und Innsbruck an seinem eigenen Institut – nach
Aussagen der damaligen Studentin Renate Drucker „verbreiteten die ‚Österreicher‘ […]
eine beängstigende Atmosphäre“ und waren die „Bespitzelung und Unterdrucksetzung
Andersdenkender […] an der Tagesordnung“432 – dürfte sich Helboks österreichischer
Lokalpatriotismus tatsächlich in ähnlicher Weise verstärkt haben, wie er dies dann nach
1945 behauptet hat433. Im Hinblick auf die Frequentierung der Lehrveranstaltungen an
seinem Institut erwies sich dieser Lokalpatriotismus allerdings als nachteilig434. Für Schle-
singer und Konsorten eignete sich Helbok nach 1945 natürlich seinerseits hervorragend
als Sündenbock435; aber nicht nur Emmerich war viel weniger harmlos, als dies vielfach
dargestellt wurde436. Kötzschke selbst, der überdies das „Bekenntnis der Professoren an
den Deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozia-
listischen Staat“ unterschrieben zu haben scheint437, hat in der Ostforschung offenkundig
eine viel größere Rolle gespielt als Helbok438.
1920–1945, Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Magisterprüfung an der Philosophischen Fakultät der
Universität zu Köln (Overath 2003), der unter den Gutachten, die Helbok für die dortige Universität zu ver-
fassen hatte, kein einziges positives anführt. Ausnahmslos alle Kandidaten wurden von ihm abgelehnt, wobei
offensichtlich politische Gründe nicht im Vordergrund standen (57, 61).
432 Ludwig, Rudolf Kötzschke (Bibl.) 56.
433 Mein Institut war als Zentrale des Österreichertums an der Universität bekannt : UAI, PA AH, Vorstellung ge-
gen meine Amtsenthebung, publiziert von Goller, OBerkofler, Universität Innsbruck (Bibl.) 73. Dazu
stimmt, dass Helbok schon 1937, also in seiner Leipziger Zeit, an einen später im Weltkrieg gefallenen ös-
terreichischen Studenten namens Fritz Grünbeck als Dissertationsthema „die Genialen Österreichs“ bzw.
„die großen Österreicher der Zeit 1650–1850“ vergeben – siehe ebd. bzw. HelBok, Erinnerungen (Bibl.)
151 – und auch schon vor dem Anschluss eine Eloge auf Österreich publiziert hat, siehe Ders., Die deutsche
Sendung Österreichs (wie Anm. 321).
434 Vgl. Ludwig, „Ein sonniges Neuland“ (Bibl.) 61 : „Der Erfolg bei den Studenten war allerdings gering“, 67 :
„Außerdem konnte er den Studenten nur nach und nach den Wert der Volkstumsgeschichte für die politische
Ausbildung begreiflich machen“, und die Seminarstatistik bei Czok, Zu Problemen (wie Anm. 12) 518f.
Anm. 61 : SS 1930 100 Mitglieder, WS 1934 49, SS 1938 20, WS 1938/39 10 ; der Rückgang zwischen 1930
und 1934 erklärt sich durch die „Neuregelung der Lehrerausbildung, die ab 1933 von den Universitäten
vorwiegend auf die Hochschulen für Lehrerbildung verlagert wurde“, so Ludwig, „Ein sonniges Neuland“
(Bibl.) 67.
435 Vgl. ebd. 67.
436 Vgl. auch Johannes PiepenBrink, Das Seminar für Mittlere Geschichte des Historischen Instituts 1933–
1945, in : Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur (wie Anm. 420) 363–383, hier
373 Anm. 74 : Schlesingers Parteieintritt im Alter von 21 Jahren wird als „Jugendtorheit“ gewertet, aber
Emmerich doch „einem Täterkreis ganz anderer Qualität als Helbok“ zugerechnet.
437 Überreicht vom Nationalsozialistischen Lehrerbund Deutschland/Gau Sachsen, o. J. [November 1933] 136.
438 Vgl. SchreiBer, Von der Philosophischen Fakultät (wie Anm. 420) 282f.: „Seine entscheidende Funktion
als Berater nationalsozialistischer Volkstumspolitik übte Kötzschke […] außerhalb der Universität aus. […]
übernahm er – als geehrter Emeritus ganz ohne Not – von 1935 bis 1944 die Bearbeitung der sächsisch-
tschechischen Grenzgebiete“ ; Ders., „Ostkolonisation“ (wie Anm. 428) 201. Bei Michael Burleigh, Ger-
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625