Seite - 304 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
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304 Martina Pesditschek
Notwendigerweise einer Zeit nach 1948 entstammen die Abschnitte „Der Zusammen-
bruch der Kunst“703 und „Der Verlust des Menschenbildes“704, in denen der Autor bei
seinem Lamento über die bildende Kunst der Moderne weitestgehend „der glänzenden
und umfassenden Untersuchung von H. Sedlmayr, Der Verlust der Mitte, 1948“ folgt705,
wobei übrigens nicht deutlich wird, dass das ehemalige NSDAP-Mitglied Sedlmayr mit
seinem Kultbuch eine „Re-Orientierung am christlichen Welt- und Menschenbild ka-
tholischer Provenienz“706 angestrebt hat707. Ratlos macht der wohl erst nach 1945 ge-
schriebene Satz „Immerhin hat die weltläufige und zum Humanen neigende Art des Ös-
terreichers vor extremen Verirrungen, so vor allem vor Judenverfolgungen, immer [sic !]
haltgemacht. Extremistische Taten blieben im nationalen Kampfe lediglich den Tsche-
chen vorbehalten“708. Betrachtet man die Gesamtevidenz, so liegt hier wohl am ehesten
ein Beispiel für Helboksche Verdrängung und gleichzeitig ein direkter Beleg dafür vor,
dass für Helbok Gewalt gegen Juden jedenfalls eine „extreme Verirrung“ dargestellt hat –
„Verbrechen“ konnten für ihn Deutsche ja wohl nur an Deutschen begehen.
Bemerkenswerterweise zählt der zweite Band der „Volksgeschichte“ zum Lesbarsten sei-
ner Veröffentlichungen, und namentlich Helboks für seine Verhältnisse erstaunlich luzide
und nuancierte Kritik an der Geisteshaltung und Politik der Mittelmächte am Vorabend des
Ersten Weltkriegs709 ist sogar durchaus lesenswert710. Weniger sympathisch ist, dass Helbok,
703 Ebd. 451–453.
704 Ebd. 454–456.
705 Ebd. 486 Anm. 28.
706 Helmuth Kiesel, Gottfried Benns Probleme mit dem „Herrn [Sedlmayr] von der Mitte“, in : Perspektiven
konservativen Denkens. Deutschland und die Vereinigten Staaten nach 1945, hg. v. Peter Uwe Hohen-
dahl, Erhard Schütz (Publikationen zur Zs. für Germanistik NF 26, Bern/Berlin/Bruxelles/Frankfurt
a.M./New York/Oxford/Wien 2012) 179–193, hier 192.
707 Ebenso HelBok, Erinnerungen (Bibl.) 35 (wo konstant „Sedlmayer“ geschrieben wird).
708 Ders., Deutsche Volksgeschichte 2 (wie Anm. 32) 334.
709 Ebd. 374–382.
710 Ebd. 379 bedauert Helbok etwa durchaus anerkennenswerterweise, dass das Deutsche Reich und die Do-
naumonarchie nicht auf die Idee gekommen waren, „die nichtdeutschen Länder im Osten und im Westen
abzustoßen […]. Der Erste und der Zweite Weltkrieg wären vermieden worden. Frankreichs Revancheideen
hätten sich bei der europäischen Verwirklichung des Nationalitätenprinzips nach Heimkehr des französischen
Westteiles von Lothringen mit einer Träne im Auge abfinden können“. Wohl noch bemerkenswerter ist ebd.
376 die zum Teil das Wesen der Deutschen an sich betreffende Analyse : „Ungehemmt entwickelten sich die
Abläufe auf einzelnen Gebieten, ohne Maß, ohne kluge Beschränkung, ungeachtet des Gedankens, daß man
sich in der Welt Feinde schaffen mußte, wenn man in die sozusagen altangestammten Bereiche der Habenden
hineinstieß. Zudem stieß die direkte Art der Deutschen den anderen oft ab[,] und man hatte gar kein Gefühl
dafür, daß derlei die Welt zum Widerstand herausfordern mußte. Dem Deutschen fehlt wohl überhaupt in
Zeiten, da er überschäumt vor Kraft, jenes Maß der Beschränkung, das die Wirkung nach außen überwacht.
Was konnte dieses Volk, dessen Einsicht ja fast nur aus den Kammern und Stuben der kleinen Fürstentümer
kam, von den Dingen in der Welt draußen wissen ?“ Vgl. auch die Kritik an der deutschen Wesensart in Hel-
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625