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Adolf Helbok (1883–1968) 307
9.
Im Handwerk des Historikers rein technisch hervorragend ausgebildet und jedenfalls in
jüngeren Jahren immer auf Innovationen aus, verfügte Helbok über eine erstaunliche
Vielfalt von Interessen und Kenntnissen ; die letztere Eigenschaft für sich allein genom-
men hätte ihn viel eher als einen Aubin oder Kötzschke dazu befähigt, ein Pendant zur
„Annales“-Schule im deutschen Sprachraum zu begründen. Doch Helbok eignete gleich-
zeitig auch eine außergewöhnliche Einfalt des Gemütes. Stets musste sich bei ihm der
germanische bzw. deutsche Wurstel am Ende als dem romanischen oder slawischen (und
zwar vorzugsweise dem französischen) Krokodil überlegen erweisen. In alternativer Weise
könnte man auch von „une forme de folie obsessionnelle, c’est-à-dire d’idée fixe“724 spre-
chen. Wer wie Helbok eine ja offenkundig als wissenschaftliches Werk intendierte Veröf-
fentlichung mit dem Ausruf „Am deutschen Wesen wird die Welt genesen !“ beschließt,
scheint tatsächlich schon von einem als pathologisch zu bezeichnenden Zwang besessen.
Wissenschaft allein des Erkenntnisgewinns wegen zu betreiben, war schon spätestens seit
1921 seine Sache nicht (mehr) – mit dieser Einstellung war er nun freilich bloß ein Kind
seiner Zeit. Für ihn unliebsame Tatsachen bevorzugte er und vermochte er auch zu ver-
drängen ; zuletzt betrieb er sogar dem Holocaust gegenüber erfolgreich Apperzeptions-
verweigerung. Das sind nun alles keine guten Voraussetzungen für die Ausübung des
Historikerberufs, und so eignet sich denn heute nur noch ein geringer Teil seines durchaus
umfänglichen publizierten Werks zur Lektüre. Dass dieses Urteil nicht bloß auf der Häme
und Naseweisheit einer Nachgeborenen beruht oder gar einfach dem Diktat der heutigen
Spielart politischer Korrektheit geschuldet ist, zeigt schon die Tatsache, dass die mit Hel-
bok durchaus eng befreundete, weltläufige und ideologisch ungebundene Schriftstellerin
Grete Gulbransson Ende der 1920er Jahre ein im Wesentlichen identisches Urteil über
den Historiker gefällt hat.
Die Helbok offenbar gleichfalls eigentümlichen Eigenschaften Streitsucht, Egomanie,
Opportunismus und Unaufrichtigkeit waren sicherlich auch nicht dazu angetan, die aka-
demische Welt in seiner Umgebung zu einem freundlicheren Ort zu machen. Er war aller-
dings auch nicht das rassistische und antisemitische Ungeheuer, als das ihn manche Auto-
ren, die sein – größtenteils ungenießbares – Werk sehr verständlicherweise wohl allenfalls
angelesen haben dürften, heute porträtieren. Die destruktive Bösartigkeit vieler anderer
NS-Geisteswissenschaftler war ihm offenbar doch fremd. 1932 unter den Einfluss des –
jedenfalls nicht obsessiv antisemitischen – Rassenkundlers und Eugenikers Eugen Fischer
724 So Jean Stengers, Quelques libres propos sur Faurisson, Roques et Cie, in : Revue belge de philologie et
d’histoire 82 (2004) 487–511, hier 505–508 bezogen auf die (z.T. auch rein literaturwissenschaftlichen)
Werke des Holocaustleugners Robert Faurisson.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625