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308 Martina Pesditschek
geraten, bellte der eigentlich bloß fanatisch „völkisch“ empfindende Helbok zwar von
etwa 1934 an dauernd von „Rasse“, „Blut“ und „Eugenik“, aber er biss nicht. Trotz seiner
Vorarlberger Herkunft war der Antisemitismus bei ihm augenscheinlich wenig ausgeprägt
und hinterließ in seinem veröffentlichten Werk nur marginale Spuren ; die von ihm ver-
klärte „Nordrasse“ stand bei ihm nicht in Opposition zu einer semitischen oder „arme-
noiden“ „Rasse“, sondern zu einer von ihm viel weniger ästimierten, aber jedenfalls nicht
mit Vernichtung bedrohten „ostischen“ („alpinen“) und einer von ihm aus lokalpatrio-
tischen Gründen kaum geringer als die „Nordrasse“ eingeschätzten „dinarischen Rasse“.
Das Prinzip der „Rassenmischung“ hat er – jedenfalls in Bezug auf diese beiden anderen
„Rassen“ – nicht eindeutig abgelehnt (was freilich auch von Hitler gesagt werden kann).
Bei seiner Propagierung des eugenischen Gedankens sparte er die sogenanntes „lebensun-
wertes Leben“ betreffenden Vernichtungsfantasien, in denen sich etwa durchaus auch die
Eugenikfreunde George Bernard Shaw und H. G. Wells ergingen, aus und konzentrierte
sich stattdessen auf die Hochzüchtung von Begabungen. Wenn er dabei von 1934 an
immer wieder von „Auslese“ und „Ausmerze“ schrieb, so glaubte der selbsternannte „Na-
turwissenschaftler“ nur jeweils Termini für einen rein natürlichen Prozess der Zulassung
zur bzw. Hinderung an der Reproduktion zu gebrauchen, der im Übrigen in seinen Augen
am effizientesten nicht etwa im Rahmen von kriegerischen Auseinandersetzungen, son-
dern bei der höchst zivilen Tätigkeit der Rodung des deutschen Urwaldes gegriffen hatte.
Namentlich moderne Kriege nach Art des Ersten Weltkriegs zu vermeiden, scheint ihm in
der Tat ein ernstes Anliegen gewesen zu sein. Völkermischung, in Sonderheit eine Vermi-
schung von Deutschen mit Romanen oder Slawen, lehnte er entschieden ab ; die von ihm
bevorzugte Alternative war aber offensichtlich nicht Vertreibung oder gar Genozid, son-
dern eine Art Apartheid, wobei er den Deutschen sicherlich die Rolle der Buren zugedacht
haben wird. Um einzusehen, dass auch seine eigenen Publikationen mit ihrer großteils
maßlosen chauvinistischen Tendenz keineswegs dazu angetan waren, das von ihm wohl
aufrichtig angestrebte friedliche Nebeneinander und die von ihm wohl ehrlich befürwor-
tete gewaltfreie getrennte Entwicklung der Deutschen und ihrer Nachbarvölker zu beför-
dern, fehlte ihm vor 1945 das Sensorium und nach 1945 die menschliche Größe. Ande-
rerseits werden seine Arbeiten realiter wohl auch keinen großen Schaden angerichtet, also
weder viele Romano- noch viele Slawophile in Romano- und Slawophobe verwandelt ha-
ben. Insgesamt war Helbok als Mensch – ungeachtet seiner späteren Selbstidentifikation
mit dem Nationalsozialismus – eher ein teilweise konservativ-reaktionärer „Völkischer“
als ein typischer Nazi, und als Autor viel eher ein Schwätzer als ein Hetzer. Das sicherlich
nicht nur wegen einiger wenig gewinnender Charaktereigenschaften objektiv gescheiterte
Leben und das heute bereits weitgehend dem Vergessen anheim gegebene Werk dieser
eher traurigen (Marc Bloch) oder auch komischen als monströsen Gestalt stellt immerhin
eine wertvolle Mahnung für Angehörige nachgeborener Geisteswissenschaftlergeneratio-
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625