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322 Gudrun Wlach
Sellins Grabungsmethoden dürften von verschiedenen Seiten als problematisch be-
trachtet worden sein. 1928 setzte das AIDR als Trägerinstitution dieser Ausgrabungen
der Zwischenkriegszeit statt Sellin vorübergehend Gabriel Welter44 als Grabungsleiter ein,
der schon länger an der Grabung beteiligt war. Unterschiedliche Ansichten über die Gra-
bungsmethode dürften schließlich auch zwischen Praschniker und Sellin zu Konflikten
geführt haben. Über die Grabungen der 1920er Jahre berichtete Praschniker an Theodor
Wiegand45 : […] Ich bin mit dem Unternehmen schon lange, schon seit der Probegrabung
1913 verbunden, da mich damals die Wiener Akademie als Archäologen mitsandte, habe dann
die Kampagne 1914 mitgemacht und war so, da ich damals die ganzen Aufzeichnungen ge-
macht habe und auch als Architekt fungierte, wohl verpflichtet, jetzt wieder mitzutun, da ich
allein mit den archäologischen Details der beiden ersten Grabungen vertraut war, […] Dass
Sie uns Dr. Welter46 sandten, dafür war ich Ihnen von Herzen dankbar. Denn bis zu seiner
Ankunft stand ich als Archäologe abermals allein und was das bei 240 Arbeitern und einem
orientalischen Ruinenhügel bedeutet, werden gerade Sie am besten beurteilen können. […]
1928 schrieb er in einem weiteren Brief an Wiegand47 : Sellin als Ausgräber brauche ich
Ihnen gegenüber nicht zu charakterisieren. Er ist auch nach soviel praktischer Schulung doch
der Schatzgräber geblieben. Ich habe mich redlich bemüht, eine Aenderung seiner Methoden
durchzusetzen, habe mich aber dann, als ich verschiedene Refus erlebt hatte und es schliesslich
zu einem Krache gekommen war […] darauf beschränkt, zu beobachten und dadurch soviel als
möglich zu retten. […] Ich habe mich immer wieder bemüht, das System sorgfältiger Schich-
tengrabung in genauen Horizonten durchzuführen, aber es war einfach unmöglich.
Die Grabungen Sellins in Sichem wurden mit Unterbrechungen im Zeitraum zwischen
1913 und 1934 durchgeführt48. Seine Grabungsmethode – besonders die Vernachlässi-
44 Raimund Wünsche : Gabriel Welter 1890–1954, in : Archäologenbildnisse, 246f.
45 Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts Berlin (= ADAI), NL Wiegand, Kasten 7, Briefe N–Q :
Praschniker an Wiegand, Prag, 30.05.1926. Theodor Wiegand (1864–1936) war von 1911–1931 Direktor
der Antikensammlung der Berliner Museen, 1932–1936 Präsident des AIDR. Siehe Camillo Praschniker,
Theodor Wiegand, in : Almanach der ÖAW 87 (1937) 335–339 ; Justus CoBet, Wiegand, Theodor, in : DNP
Suppl. 6, 1307–1309.
46 Welter scheint aber ein schwieriger Kollege gewesen zu sein. Praschniker beschrieb ihn später in einem
Brief an Schrader als eigentümlichen Charakter, mit dem wohl kaum jemand auskommt (AÖAI, Akten, Zl.
1163/40 :H : Praschniker an Schrader 08.01.1940).
47 ADAI, NL Wiegand, Kasten 35, Mappe Sichem 1926–1935 : Praschniker an Wiegand, Prag, 20.05.1928. Die
Information und die Transkription des Briefes verdanke ich Stefan Altekamp (Berlin).
48 Zur Geschichte der Grabungen siehe Karl Jaroš, Sichem. Eine archäologische und religionsgeschichtli-
che Studie mit besonderer Berücksichtigung von Jos 24 (Göttingen 1976) 16–23. Jaroš führt Praschniker
als Mitarbeiter bei folgenden Grabungen an : 1. Grabung vom 04.–20.09.1913 ; 2. Grabung vom 26.03.–
07.05.1914 ; 3. Grabung vom 24.03.–03.05.1926 ; bei der 4. Grabung im Sommer 1926 war Praschniker
verhindert ; Teilnahme wieder an der 5. Grabung vom 10.03.–15.04.1927.
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625