Seite - 371 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
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Camillo Praschniker (1884–1949) 371
Partei wieder entlassen. […] Wenn ich der NSDAP beigetreten bin, geschah es nicht um eines
persönlichen Vorteils willen, […] sondern im Interesse des von mir geleiteten Oesterreichischen
Archaeologischen Instituts. Als Direktor desselben hatte ich dauernd amtlich in den Reichs-
statthaltereien der einzelnen Länder zu tun, in denen es keine Leute ohne Parteiabzeichen
gab und ich ohne ein solches kaum vorgelassen wurde […]. Ich habe mich nach Kräften gegen
die Eingliederung des altberühmten österreichischen Instituts in ein Reichsinstitut gewehrt :
Wenn diese auch von dem damaligen Reichsminister Rust angeordnet wurde, war es mir doch
gelungen, meinem Institut eine weitgehende Selbständigkeit gegenüber Berlin zu erhalten.
[…] Ich habe meine Zugehörigkeit zur NSDAP niemals irgendwie missbraucht329, sondern
im Gegenteil meinen Angestellten und Studierenden, welche durch die NS-Gesetzgebung zu
Schaden kamen, zu helfen gesucht. So habe ich auch den Laboranten meines Seminars Karl
Jistel330, der als Mischling pensioniert wurde, so lange zurückzuhalten versucht, bis mir von
dem Referenten in der damaligen Reichsstatthalterei gedroht wurde, man werde gegen mich
einschreiten. Meinem begabten jüdischen Schüler Dr. A.E. Raubitschek habe ich zu einem
amerikanischen Stipendium verholfen331. Er ist jetzt in angesehener Stellung am Institut for
advanced studies in Princeton NJ tätig. Ebenso habe ich auch andere jüdische Studierende bei
ihrer Auswanderung mit Empfehlungsschreiben ausgestattet und ihnen damit ihr Fortkommen
im Ausland erleichtert. […] Für meine positive Einstellung zur Republik Oesterreich kann ich
[…] meine baldige Entlassung aus der NSDAP, zu deren Ideologie ich in immer stärkere Op-
position geriet […] anführen. […] Ich […] gelobe aufrichtig, meine ganze Kraft für ein freies,
unabhängiges Oesterreich einsetzen zu wollen. Diesem Schreiben liegen sieben Erklärungen
bei, die Praschniker entlasten sollten332 : Er habe seine vorübergehende Zugehörigkeit (als
Anwärter) zur Partei nie missbraucht, sondern ihre Exzesse und lügenhafte Propaganda
abgelehnt.
329 Diese Formulierung entspricht dem § 27 des Verbotsgesetzes vom 08.05.1945, in dem Ausnahmen von der
Registrierungspflicht geregelt waren. Siehe Garscha, Entnazifizierung (wie Anm. 326) 858f.: 85 bis 90 Pro-
zent aller Registrierungspflichtigen vertraten die Auffassung, ihre Parteimitgliedschaft „niemals missbraucht“
zu haben. Am 06.02.1947 beschloss der Nationalrat ein neues Nationalsozialistengesetz, wonach die Re-
gistrierten in Belastete (Parteifunktionäre) und Minderbelastete geteilt wurden ; Ausnahmen betrafen z.B.
Parteimitglieder, die vor dem 01.01.1944 ausgetreten waren oder deren Aufnahme aus politischen Gründen
abgelehnt worden war.
330 Auf Karl Jistel, den Vorsitzenden des Personalausschusses der Universität, beriefen sich nach 1945 sowohl
Praschniker als auch Hedwig Kenner.
331 Zu Raubitschek siehe oben Kap. 5. Praschniker befürwortete 1936 ein Stipendium für Raubitschek ; für
spätere Hilfestellungen zu einem amerikanischen Stipendium sind mir keine Belege bekannt.
332 Erklärungen („Persilscheine“) von : Dr. [Ignaz] Pamer (Polizei ; Mitglied des Eranos, 14.08.45) ; Kastell Lud-
wig ; Dr. Keil Josef (16.07.45) ; Dr. Theuer Max (18.07.45) ; Prack Herbert (Sekretär der österreichischen
Nationalbank, 12.07.45) ; Kutiak Margarete (emerit. Apothekerin, 17.07.45) ; Dutz Arthur (Blockhelfer der
Ortsgruppe Alserbach der NSDAP, 12.9.45).
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625