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Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941) 421
Stagnation
Die Ernennung zum außerordentlichen Professor bedeutete für Erna Patzelt aber mit-
nichten eine Festanstellung an der Universität Wien oder gesicherte Einkünfte. Noch
während des Verfahrens um die Verleihung dieses Titels wurde ihr Vertrag als ordentliche
Hochschulassistentin Erster Klasse zwar um weitere zwei Jahre bis Ende des Jahres 1934
und abermals bis Ende 1936 verlängert85, mit der zwangsweisen Pensionierung Dopschs
und der damit verbundenen Auflösung „seines“ Seminars gestaltete sich ihre Weiterbe-
schäftigung aber zunehmend schwieriger86. Dennoch wurde ihr zunächst eine weitere
Verlängerung „vorbehaltlich der ho. Schlussfassung über die künftige Gestaltung des ge-
nannten Seminars“ [für Wirtschafts- und Kulturgeschichte] gewährt.87 Jedoch wurden
ihre Arbeitsbedingungen in dieser Zeit stetig schwieriger, schließlich wurde ihr das eigene
Arbeitszimmer genommen. Nicht zuletzt deshalb dürfte sie um Beurlaubung zwecks Ab-
haltung von Gastvorlesungen in Amerika gebeten haben, was ihr für die Dauer von vier
Monaten (Januar bis Mai 1938) gewährt wurde.88 Nach ihrer Rückkehr sah sie sich mit
der Tatsache konfrontiert, dass die durch Srbik und Otto Brunner beantragte aberma-
lige Verlängerung ihres Arbeitsvertrages89 abgelehnt worden war, wie sie aus einem an
sie gerichteten Schreiben des kommissarischen Dekans der Universität Wien entnehmen
85 PA Patzelt (wie Anm. 4) fol. 162r und 163r. Ihr im Jahr 1934 eingereichtes Ansuchen um höhere Besoldung
aufgrund der Anrechnung ihrer Dienstzeit wurde abgelehnt, ebd. fol. 160r–161v.
86 Zum Prozess der Auflösung des Seminars für Wirtschafts- und Kulturgeschichte vgl. Buchner, Dopsch (wie
Anm. 1) 167, und Alphons Lhotsky, Geschichte des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 1854–
1954 (MIÖG Erg.-Bd. 17, Graz/Köln 1954) 380f. Die Auflösung war zunächst auch infolge des Engagements
Patzelts gestoppt worden, die im Januar 1935 einen Protestbrief der Mitglieder des Büros des Internationalen
Historikerkomitees an Bundeskanzler Schuschnigg in dieser Sache veranlasst hatte. In dem im Frühjahr 1938
verfassten Appell zur Weiterbeschäftigung Patzelts (s.o. und Anm. 81), der auch von Dopsch unterzeichnet
worden war, findet sich zur Auflösung des Seminars folgende Passage : Diese Seminar, das einzige seiner Art im
ganzen deutschen Volksgebiet, wurde vor zwei Jahren auf Betreiben extrem klerikaler Kreise und infolge persönlicher
Feindschaft vom Unterrichtsministerium Pernter aufgelöst“, PA Patzelt (wie Anm. 4), fol. 143r). Möglicherweise
reagierte das zuständige Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten daher eher zurückhaltend auf
die zuvor durch den kommissarischen Rektor der Universität Wien, Fritz Knoll, auf das wärmste ausgespro-
chene Befürwortung der Weiterbeschäftigung. In einem entsprechenden Schreiben wird betont, dass dem
Rektorat das Handeln in dieser Angelegenheit freistehe, die ausgesprochene Befürwortung aber selbstverständ-
lich nicht als regelrechter Antrag angesehen werde und dass dieser Massnahme [die Auflösung des Seminars] ein
einstimmiger Beschluss des Professorenkollegiums der philosophischen Fakultät vom 14.1.1936 […] zugrundelag
[sic], ebd. fol. 141r. Zur codierten Sprachregelung in dieser Zeit vgl. Albert Müller, Dynamische Adaptie-
rung und „Selbstbehauptung“. Die Universität Wien in der NS-Zeit, in : Geschichte und Gesellschaft. Zs. für
historische Sozialwissenschaft 23/1 (1997) 592–617.
87 PA Patzelt (wie Anm. 4) fol. 155r.
88 Ebd. fol. 148r.
89 Ebd. fol. 135r, Schreiben vom 23.06.1938.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625