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Otto Brunner (1898–1982) 441
Ob dieses Urteil auch heute noch Bestand hat, muss vorerst offen bleiben. Eine Ge-
samtwürdigung des Brunnerschen Werks liegt, im Unterschied zu anderen Historikern
und „Gelehrten-Intellektuellen“ (G. Hübinger) des 20. Jahrhunderts, bislang nicht vor10.
Um aus der inzwischen steril gewordenen Polemik über Brunner herauszukommen, lie-
fert Rosenbergs Urteil jedoch ohne Zweifel eine hinreichende Herausforderung für eine
tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Brunnerschen Œuvre. Diese hätte nicht nur
die verschiedenen biografischen Phasen und Werkschichten zu unterscheiden, sondern
ebenso nach dem gleichsam verborgenen Knoten zu fragen, der das wissenschaftliche Ge-
samtwerk Brunners zusammenhält. Die These, die hier vertreten, aber schon wegen des
zeitlich begrenzten Darstellungsrahmens der nachfolgenden Ausführungen nicht näher
belegt werden kann, lautet, dass dieser verborgene Knoten in Brunners Frage nach der
Historizität von Ordnungen in dreifachem Sinn liegt : mit Blick auf die geo-politischen
Ordnungen (Mittel-)Europas in der Neuzeit, insbesondere im 20. Jahrhundert ; die poli-
tisch-sozialen Ordnungsmuster in Europa im Mittelalter, in der Epoche „Alteuropas“ (im
Verständnis Brunners von Homer bis Goethe) und in der Moderne des 20. Jahrhunderts ;
schließlich mit Blick auf die Wissensordnungen einschließlich der begrifflichen Katego-
rien, mit denen politisch-soziale Ordnungen beschrieben werden können.
Folgt man den Orten seiner akademischen Wirkungsstätten, lassen sich auf den ersten
Blick die beiden Phasen in Wien und Hamburg unterscheiden, wo Brunner von 1954
Als „der wohl bedeutendste Historiker, den die Universität Wien im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat“,
wird Brunner von Thomas WinkelBauer gewürdigt, vgl. Ders., Das Fach Geschichte an der Universität
Wien. Von den Anfängen um 1500 bis etwa 1975, Göttingen 2018, 162. Das Buch erschien nach Abschluß
des vorliegenden Aufsatzes und konnte darum nicht näher berücksichtigt werden.
10 Siehe hierzu, nach den jüngeren Forschungen zur völkischen und nationalsozialistischen Geschichtswissen-
schaft jedoch teilweise ergänzungsbedürftig : Otto Gerhard Oexle, Sozialgeschichte – Begriffsgeschichte
– Wissenschaftsgeschichte. Anmerkungen zum Werk Otto Brunners, in : VSWG 71 (1984) 305–341 ; An-
nali dell’ Istituto storico italo-germanico in Trento XIII (1987) : Otto Brunner–Tagung, 19.–21. März 1987 ;
hierzu : Reinhard Blänkner, Spät-Alteuropa oder Früh-Neuzeit ? Anmerkungen zur Otto–Brunner–Tagung
in Trient (19.–21. März 1987), in : GG 13 (1987) 559–564 ; James Van Horn Melton, From Folk History
to Structural History : Otto Brunner (1898–1982) and the Radical-Conservative Roots of German Social His-
tory, in : Paths of Continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, ed. by Hartmut
Lehmann, James Van Horn Melton (Cambridge 1994) 263–292 ; Hellmut Quaritsch, Otto Brunner
– Werk und Wirkungen, in : Staat und Recht. FS für Günther Winkler, hg. v. Herbert Haller u. a. (Wien/
New York 1997) 825–853 ; Reinhard Blänkner, Von der „Staatsbildung“ zur „Volkwerdung“. Otto Brun-
ners Perspektivenwechsel der Verfassungshistorie im Spannungsfeld zwischen völkischem und alteuropäischem
Geschichtsdenken, in : Alteuropa oder Frühe Moderne. Deutungsmuster aus dem Krisenbewußtsein der Wei-
marer Republik für das 16.–18. Jahrhundert in Theologie, Rechts- und Geschichtswissenschaft, hg. v. Luise
Schorn-Schütte (ZHF Beiheft 23, Berlin 1999) 87–135 ; Reinhard Blänkner, Nach der Volksgeschichte.
Otto Brunners Konzept einer europäischen Sozialgeschichte, in : Volksgeschichten im Europa der Zwischen-
kriegszeit, hg. v. Manfred Hettling (Göttingen 2003) 326–366.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625