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Otto Brunner (1898–1982) 443
1. prägungen
Otto Brunner wurde am 21. April 1898 als Sohn des Bezirksrichters Dr. Heinrich Brun-
ner und dessen Gattin Flora, geb. Birringer, in Mödling bei Wien geboren. Zwei Jahre
nach dem frühzeitigen Tod des Vaters zog die jung verwitwete Mutter zurück in den Kreis
ihrer elterlichen, alteingesessenen und angesehenen Weinbauernfamilie in Langenlois im
Kamptal. Hier, in der noch weitgehend vorindustriellen, bäuerlich-handwerklichen Welt
des niederösterreichischen Weinviertels um 1900, verbrachte Brunner seine Kindheit, die
ihn, nach späteren eigenen Aussagen, tief geprägt hat14. Spuren seiner Denkfigur des „gan-
zen Hauses“15, die als idealisierte Sozialform seinen alteuropäischen Konservatismus nach
1945 durchziehen, führen zurück in diese Lebenswelt, der Brunner auch einen seiner
frühen Aufsätze gewidmet hat16.
Nach der neuerlichen Eheschließung seiner Mutter mit dem Hauptmann Josef Eder
zog die Familie 1908 in die mährische Bergstadt Iglau (Jihlava), einem Standort der k. u. k.
Armee, und nach einer weiteren Versetzung des Stiefvaters im Jahre 1914 nach Brünn
(Brno). Am dortigen Deutschen Gymnasium schloss Brunner zwei Jahre später aufgrund
der besonderen Kriegsumstände ohne förmliches Abitur, aber mit dem Reifezeugnis seine
Schulzeit ab, um sich nach dem Einberufungsbefehl auf den Kriegsdienst vorzubereiten.
Nach den Kindheitserfahrungen im agrarisch-ländlichen Marktflecken Langenlois wurde
Brunner nun in der vormals bedeutenden Bergbau- und Tuchmacherstadt Iglau, vor allem
aber in Brünn, dem „mährischen Manchester“ (J. G. Kohl), mit den Milieus industrie-
städtisch-modernen Lebens konfrontiert. Zu seinen besonderen mährischen Erfahrun-
gen gehörten die wachsenden ethnischen Spannungen zwischen den tschechischen und
deutsch-österreichischen Bevölkerungsgruppen, die vor allem in der deutschen ‚Sprach-
insel‘ Iglau auftraten17. Früh erhielt Brunner so eine volksdeutsche mentale Prägung, die
14 Mündliche Mitteilung von Hans Medick über ein längeres Gespräch mit Brunner 1967 am Rande einer Ta-
gung der International Commission for the History of Representative and Parliamentary Institutions. In-
formative Einblicke in die Lebenswelt der Birringers in der Langenloiser Weinwirtschaft aus der Sicht von
Brunners Großvater sind einem von Brunners Witwe geschriebenen Aufsatz zu entnehmen : Titu Stephanie
Brunner, Das Tagebuch des Leopold Birringer aus Langenlois, in : Zs. des Vereins für Landeskunde von
Niederösterreich 55 (1984) 321–332. Wichtige biografische Hinweise für das Folgende enthalten die ebenfalls
von Brunners Witwe verfassten „Erinnerungen an den Vater (Otto Brunner) geschrieben von seiner Frau für
die Töchter, Herbst 1982“ (unveröffentlicht). Ich danke Frau Prof. Dr. Hedwig Brunner für die Kopie von
Auszügen aus diesen „Erinnerungen“ und deren Verwendung.
15 Brunner, Adeliges Landleben (wie Anm. 3) ; Ders., Das „ganze Haus“ und die alteuropäische „Ökonomik“
(1952), in : Ders., Neue Wege (1968) (wie Anm. 4) 103–127.
16 Ders., Langenlois als Markt, in : Zur Geschichte von Langenlois. FS zur Erinnerung an die Erhebung des
Marktes Langenlois zur Stadt am 23.2.1925 (Langenlois 1925) 27–34.
17 Siehe hierzu Petra Knápková, Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Iglaus (Olomouc 2010). Zum (völkischen)
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625