Seite - 456 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
Bild der Seite - 456 -
Text der Seite - 456 -
456 Reinhard Blänkner
aufs Ganze gesehen tatsächlich mehr als die Rolle einer Galionsfigur zukam, bedarf noch
weiterer Klärung. Die operative Arbeit, vor allem während Brunners Zeit als (Ober-)Leut-
nant bzw. zuletzt als Hauptmann an der Luftwaffenhochschule in Tulln zwischen April
1942 bis Juni 1944, lag jedenfalls in den Händen von Willfried Krallert, einem Schüler
Hirschs und Hassingers, frühzeitigen NS-Aktivisten, seit 1937 Sekretär der Geschäftsstelle
der SODFG, Leiter der „Publikationsstelle“ in Wien und seit 1943 Mitarbeiter im Reichs-
sicherheitshauptamt, der auch die Arbeitsberichte für die Jahrestagungen der VFG gemein-
sam mit Brunner verfasste75. Darüber hinaus besaß Hassinger eine zentrale Funktion in
der Wiener Südostforschung, in deren weiterem Geflecht Brunner lediglich eine marginale
Position, etwa durch seine von 1942 bis 1944 währende Mitgliedschaft im Kuratorium der
Prinz Eugen-Stiftung des Hamburger Kaufmanns Alfred C. Toepfer, einnahm76.
Überblickt man die Zeit von der Mitte der 1930er Jahre bis 1945, bleibt zu resü-
mieren, dass der politische Historiker Brunner kein NS-Parteiaktivist war, sondern ein
„Gelehrten-Intellektueller“, der zunehmend und willentlich in den ideologischen Bann
des Nationalsozialismus und in das institutionelle Gefüge der nationalsozialistischen Wis-
senschaftsorganisation geriet. In diesem Zusammenhang ist auch die Aufnahme in den
Sachverständigenbeirat des „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“ im
April 1941 zu nennen, die jedoch nicht mit Forschungsaufträgen oder weitergehenden
Verpflichtungen verbunden war, zumal das Institut nach der wenig später erfolgten Amts-
enthebung seines Präsidenten Frank rasch an Bedeutung verlor77.
Brunners wissenschaftlicher Karrieresprung wurde zweifellos durch die nationalsozia-
listischen Rahmenbedingungen nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich
75 Vgl. Volksdeutsche Forschungsgemeinschaften. Tätigkeitsbericht 1940/41. Geheimes Staatsarchiv/Preußischer
Kulturbesitz, Berlin, PK I. HA Rep. 178 1165, Bl. 119–143. Zu Krallert siehe Michael FahlBusch, Willfried
Krallert (1912–1969). Ein Geograf und Historiker im Dienst der SS, in : Österreichische Historiker 1 (wie
Anm. 20) 793–836 ; Ders., Publikationsstelle Wien, in : Handbuch (wie Anm. 53) ; Ders., Im Dienste des
Deutschtums in Südosteuropa : Ethnopolitische Berater als Tathelfer für Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
in : Südostforschung im Schatten des Dritten Reiches. Institutionen – Inhalte – Personen, hg. v. Mathias
Beer, Gerhard Seewann (München 2004) 175–214, insbes. 194–203.
76 Zu diesem Befund führt auch die Auswertung des Bandes : Südostforschung im Schatten des Dritten Rei-
ches (wie Anm. 65). Zur Prinz Eugen-Stiftung siehe Jan Zimmermann, Die Kulturpreise der Stiftung F.V.S.
1935–1945. Darstellung und Dokumente (Hamburg 2000) 554–606 ; dazu den Aktenbestand : Stiftung Han-
seatisches Wirtschaftsarchiv, Hamburg, N2/IV 50–1–7. Zu Kontroverse über Alfred Toepfers politisches En-
gagement während der Zeit des Nationalsozialismus siehe : Alfred Toepfer. Stifter und Kaufmann. Bausteine
einer Biographie – Kritische Bestandsaufnahme, hg. v. Georg Kreis (Hamburg 2000), und Lionel Boissou,
Stiftung FVS und Johann Wolfgang Goethe-Stiftung Vaduz, in : Handbuch (wie Anm. 53) 666–678.
77 Siehe hierzu HeiBer, Walter Frank (wie Anm. 66) 938–1227 ; Liste der vom Reichsinstitut vergebenen For-
schungsvorhaben ebd. 547f. Zur „Judenforschung“ an der Universität Wien, an der auch Brunner beteiligt
war, siehe Dirk Rupnow, Brüche und Kontinuitäten – Von der NS-Judenforschung zur Nachkriegsjudaistik,
in : Geisteswissenschaften (wie Anm. 52) 79–110, hier 82f.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625