Seite - 467 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
Bild der Seite - 467 -
Text der Seite - 467 -
Otto Brunner (1898–1982) 467
(E. Müller/F. Schmieder), ist daher irreführend und werkgeschichtlich unhaltbar118. Viel-
mehr handelt es sich auch hier um die nationalsozialistische Überformung eines bereits
zuvor von Brunner formulierten innovativen Postulats, das nach deren Abstreifung sein
methodologisches Potential in der sich formierenden begriffsgeschichtlichen Forschung
seit Mitte der 1950er Jahre erneut entfalten konnte119.
Vor dem Hintergrund dieser werkgeschichtlichen Kontextualisierung wird Brunners
Nazifizierung der Volksgeschichte deutlicher erkennbar. Bewegten sich seine vorange-
henden Arbeiten, etwa zum Burgenland oder zum Waldviertel, noch im Rahmen einer
großdeutsch orientierten Landesgeschichte120, so „eröffnet(e)“ der „Anschluss“ „eine neue
große Sicht deutscher Geschichte“121, die in Brunners Arbeiten, in Fortführung und Er-
weiterung früherer Ansätze, vor allem unter drei Aspekten Niederschlag fanden : in der
Ausweitung des Blicks der bis dahin vorherrschenden reichsdeutschen Ostforschung auf
die nun hinzugekommenen Gebiete „Südostdeutschlands“122 ; im Verständnis von politi-
scher Volksgeschichte als Verknüpfung der Geschichte von „Land“ und „Reich“123 sowie
118 Vgl. James Van Horn Melton, Otto Brunner and the Ideological Origins of Begriffsgeschichte, in : The
Meaning of Historical Terms and Concepts. New Studies on Begriffsgeschichte, hg. v. Hartmut Lehmann,
Melvin Richter (Washington D.C. 1996) 21–33 ; Ernst Müller, Falko Schmieder, Begriffsgeschichte
und historische Semantik (Frankfurt/M 2016) 270.
119 Auf die jüngere Debatte über die Ursprünge der Begriffsgeschichte in Deutschland und Brunners Anteil
hieran ist an dieser Stelle nicht näher einzugehen. Kennzeichnend für die Beiträge in dieser Debatte ist jedoch
der zumeist unzureichende Blick auf Brunners werkgeschichtliche Genese. Neben den Beiträgen von Van
Horn Melton und Müller, Schmieder (siehe Anm. 117) siehe hierzu ohne weitere Kommentierung :
Christof Dipper, Otto Brunner aus der Sicht der frühneuzeitlichen Historiographie, in : Annali (wie Anm.
10) 73–96 ; Gadi Algazi, Herrengewalt und Gewalt der Herren im späten Mittelalter. Herrschaft, Gegensei-
tigkeit und Sprachgebrauch (Frankfurt/M 1996) ; Ders., Otto Brunner – „konkrete Ordnung“ und Sprache
der Zeit, in : Geschichtswissenschaft als Legitimationswissenschaft (wie Anm. 8) 166–203 ; Reinhard Blän-
kner, Begriffsgeschichte in der Geschichtswissenschaft. Otto Brunner und die Geschichtlichen Grundbegriffe,
in : Forum interdisziplinäre Begriffsgeschichte, hg. v. Ernst Müller. Zentrum für Literatur- und Kulturfor-
schung Berlin. E-journal 1 (2012) H.2, 102–108.
120 Vgl. Otto Brunner, Wissenschaft und Landeskunde, in : Der Traisengau 1 (1935) 7– 8 ; Ders., Die
deutsche Besiedlung des Burgenlandes, in : Burgenländische Heimatblätter 6 (1937) 21–27 ; Ders., Die
geschichtliche Stellung des Waldviertels, in : Das Waldviertel 7 : Geschichte, hg, v. Eduard Stepan (Wien
1937) 368–431.
121 Otto Brunner, Die geschichtliche Stellung des südmährischen Deutschtums, in : Unsere Heimat. Monats-
blatt des Vereins für Landeskunde von Niederdonau und Wien. Neue Folge 12 (1939) 73–75, hier 75.
122 Siehe hierzu ebd. 73 ; Ders., Der ostmärkische Raum (wie Anm. 60) ; Ders., Südostdeutsche Leistungen
und Schicksale, in : Die deutsche Schule 1942, H. 4, 74–49 ; Ders., Die Habsburger Monarchie und die
politische Gestaltung des Südostens, in : Deutsche Ostforschung. Ergebnisse und Aufgaben seit dem ersten
Weltkrieg 2, hg. v. Hermann AuBin, Otto Brunner, Wolfgang Kohte, Johannes Papritz (Leipzig 1943)
43–83 ; Ders., Die veränderte politische Lage (wie Anm. 72).
123 Siehe Ders., Land und Herrschaft (wie Anm. 2) 508f.; Ders., Deutsches Reich und deutsche Lande, in : Zs.
für deutsche Geisteswissenschaft H. 4 (1940/41) 241–249.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625