Seite - 468 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
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468 Reinhard Blänkner
der Konzeptualisierung und Darstellung einer politischen Volksgeschichte als Geschichte
der deutschen Volksordnung in Abgrenzung von der traditionellen kultur- und heimat-
geschichtlichen Volksgeschichte124. Wissenschaftsgeschichtlich wirkungsvoll ist vor allem
der letzte Aspekt geworden durch Brunners Hauptwerk „Land und Herrschaft“.
Um die Komplexität dieses „epochemachenden Buch(s)“125, das die deutschsprachige
Mediävistik und Verfassungsgeschichtsschreibung bis in die 1970er Jahre wie kaum ein
anderes nachhaltig beeinflusst hat und seit den beiden vergangenen Dekaden erneut kon-
trovers diskutiert wird, würdigen zu können, wird man – stärker als dies bislang geschehen
ist – die verschiedenen werkhistorischen Schichten unterscheiden müssen. Dies gilt vor al-
lem für die Rekonstruktion der Problemstellung, d. h. die aus der Reflexion über die Krise
moderner Staatlichkeit gewonnene Auffassung von der Historizität des Staates als insti-
tutionelles Ordnungsarrangement des Politischen und die daraus gezogene allgemeine
Folgerung, dass die mittelalterliche Welt nicht mit modernen Kategorien des „Staates“,
der „Gesellschaft“, „Wirtschaft“, „Verwaltung“ und „Verfassung“ erfasst werden könne126.
Die Neuinterpretation der Fehde als legitimes Rechtsinstitut anstelle der Abwesenheit
des neuzeitlichen Monopols legitimer staatlicher Gewaltsamkeit markiert Brunners Aus-
gangspunkt127, von dem aus er seit den späten 1920er Jahren sukzessive die Struktur der
mittelalterlichen politischen Ordnung mithilfe einer an den Quellen orientierten Begriff-
lichkeit darzustellen versuchte.
Im Zentrum steht dabei der Begriff des „Landes“, der, im Unterschied zu den Begriffen
„Herrschaft“128 und „Fehde“129, in der Mediävistik ebenso wie in der einschlägigen Brun-
124 Siehe hierzu Brunner, Land und Herrschaft, 1. Aufl. (wie Anm. 2), 9 und 193–194 ; Ders., Kärntens
Stellung (wie Anm. 110) 5 und passim. Brunners Gesamtdarstellung einer politischen Volksgeschichte unter
dem Titel „Der Schicksalsweg des deutschen Volkes“ (1944/45) ist aufgrund der Kriegswirren nicht mehr
zum Druck gekommen. Druckfahnen des bislang verschollen geglaubten Manuskripts befinden sich in der
Brunner-Bibliothek der Chuo-Universität in Tokio.
125 Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte 1 (bis 1250) (Köln 132008) 324 (Reinbek b. Hamburg
11972, 298).
126 Siehe Brunner, Problem (wie Anm. 115) ; Ders., Land und Herrschaft (wie Anm. 2) 132–143.
127 Siehe hierzu vor allem Ders., Beiträge zur Geschichte des Fehdewesens im spätmittelalterlichen Österreich
(1. Georg von Puchheim und König Friedrich III. 1440–1452. – 2. Aus den Papieren des Georg von Potten-
dorf 1432-1463), in : JbLKNÖ N. F. 22 (1929) 431–507 ; Ders., Politik der Stadt Wien (wie Anm. 31) 30 ;
Ders., Stellung des Waldviertels (wie Anm. 119) insbes. 402–403.
128 Siehe etwa František Graus, Die Gewalt bei den Anfängen des Feudalismus und die „Gefangenenbefreiung“
der merowingischen Hagiographie, in : Jb. für Wirtschaftsgeschichte 1 (1961) 61–156, hier 63, Anm. 11 ;
Ders., Verfassungsgeschichte des Mittelalters, in : HZ 243 (1986) 529–589, insbes. 566–568 ; Karl Kroe-
schell, Haus und Herrschaft im frühen deutschen Recht, in : Ders., Studien zum frühen und mittelalterli-
chen deutschen Recht (Berlin 1995) 113–155, inbes. 116f. und 153–155 (Erstdruck 1968) ; Ders., Verfas-
sungsgeschichte und Rechtsgeschichte des Mittelalters, in : ebd. 347–380, insbes. 357f. (Erstdruck 1983).
129 Über Brunners Verständnis der Fehde ist in der jüngeren Forschung eine intensive und teilweise polemische
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625