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480 Alfred Werner Höck
historiografischer Metafiktion3 und mitsamt den aus ihr abgeleiteten gesellschaftspoliti-
schen Zielsetzungen. Gerade in Österreich, in seiner durch Nationalitätenkonflikt und
ideologische Kämpfe geprägten politischen Landschaft, wurde die Definition von „Volk“
und seiner spezifischen „Eigenart“ zu einer Frage der ideologischen Sinnstiftung über die
politischen Systembrüche hinweg, und der Kampf um die Definitionshoheit nicht zuletzt
auf dem Boden der Hochschulen ausgefochten. Zu den Persönlichkeiten, die aus diesem
völkischen Wissenschaftssubstrat hervorgingen und deren Wirken bis in die jüngste Zeit
spürbar blieb, gehört Richard Wolfram.
Ginge es nur um den Gehalt der Forschungserträge Wolframs, so gäbe es wenig Grund,
ihn hier im Rahmen dieser Buchreihe zu behandeln, zumal er kein Historiker im eigent-
lichen Sinn war4. Es gibt jedoch ein „aber“. Während wohl die meisten Forscherper-
sönlichkeiten primär durch ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen ihren Stellenwert
festlegen, gibt es allerdings auch den Typus, welcher sich vor allem über die Persönlichkeit
definiert und vorwiegend in der Lehre, dem Wissenschaftsbetrieb und in der persönlichen
Ansprache Wirkung erzielt. Eine solche Persönlichkeit war Wolfram nach übereinstim-
menden Aussagen, und seine Wirkungsmächtigkeit auf breite Teile der Volkskultur ist bis
heute spürbar. Trotz vereinzelter Kritik an seiner Rolle während des Nationalsozialismus
gelang es ihm durch seine Lehrtätigkeit an der Universität Wien und durch seine breit
gefächerten Netzwerke, seine Person in den Kreisen der Brauch- und Volkstumspflege
mit einem gewissen „Mythos“ zu umgeben. Erst spät, im Zuge eines Generationswech-
sels, wurde begonnen, seine Rolle auch innerhalb des Faches kritisch zu beleuchten5. Für
3 Der ursprünglich aus der postmodernen Diskussion herrührende Begriff der „historiographic metafiction“
wurde von der Literaturwissenschaftlerin Linda Hutcheon formuliert, um den postmodernen Roman an Hand
der Verwischung von Fiktion und Historiografie zu beschreiben. Vgl. Linda Hutcheon, Beginning to Theorize
Postmodernism, in : Textual Practice 1 (1987) 10–31. Die Übernahme dieses Konzeptes zur Beschreibung der
Instrumentalisierung der Historiografie für die Zwecke der völkischen Wissenschaft, die von stark fiktionalen
Interpretationen gekennzeichnet ist, bietet sich in Fortführung des Konzeptes der „Metahistory“ (der großen his-
torischen Erzählung) von Hayden White an. Vgl. Hayden White, Metahistory. Die historische Einbildungskraft
im 19. Jahrhundert in Europa (Frankfurt/M 1991, engl. Originalausgabe : Metahistory. The historical Imagina-
tion in nineteenth-Century Europe [London 1973]) ; Zu Hutcheon siehe Ansgar Nünning, Historiographische
Metafiktion, in : Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, hg. v. Dems. (Stuttgart/Weimar 42008) 289–290.
4 Trotz dieser Feststellung muss man festhalten, das Wolframs Arbeiten bis heute im Kreis seiner Anhänger, vor
allem in der Volks- und Brauchtumsszene, als „sakrosankte“ Schriften betrachtet werden.
5 Es gibt noch keine Gesamtbiografie Wolframs. Die bisherigen Veröffentlichungen konzentrieren sich auf ver-
schiedene Aspekte seiner wissenschaftlichen Arbeit und Karriere, vor allem in der NS-Zeit. Vgl. Olaf Bock-
horn, „Die Angelegenheit Dr. Wolfram, Wien“. Zur Besetzung der Professur für germanisch-deutsche Volks-
kunde an der Universität Wien, in : Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität
Wien, hg. v. Mitchell G. Ash u. a. (Göttingen 2010) 199–224 ; Olaf Bockhorn, Helmut EBerhart, Volks-
kunde im Reichsgau Salzburg. Institutionen – Personen – Tendenzen, in : Volkskunde und Brauchtumspflege
im Nationalsozialismus in Salzburg. Referate, Diskussionen, Archivmaterial. Bericht zur Tagung am 18. und
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625