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490 Alfred Werner Höck
Einstellung und seine Radikalisierung durch ausführliche Zitate, gleichsam durch ihn
selbst, dokumentiert werden soll.
Ende der 1920er Jahre wird die Politisierung des jungen Dozenten feststellbar. Ist er in
seinen privaten Äußerungen (soweit sich der Briefverkehr erhalten hat) bis dahin kaum
politisch interessiert, so nehmen ab 1928 politische Wertungen und weltanschaulich ge-
färbte Gehässigkeiten merkbar zu. Es ist zu vermuten, dass seine Sozialisierung im ger-
manistischen Seminar und im Germanisten-Verein, dessen Mitglied er war, und nicht
zuletzt seine intensive Freundschaft mit Höfler zu dieser Entwicklung führten42. Diese
Politisierung floss auch in seine wissenschaftliche Arbeit ein. Ein Zeichen dafür ist eine
gezielte Polemik, die er 1929 ankündigt und die er gegen einen gewissen Herrn [Paul] Jaques
Bloch in Berlin anfangen43 wolle, was er schließlich mit einiger Verzögerung mit der Veröf-
fentlichung des Artikels „Gesunkenes Kulturgut und gehobenes Primitivgut“44 realisiert.
Bleibt Wolfram in seinem Artikel bei einer formal kritischen Auseinandersetzung, bei
der er für eine Kulturwertigkeit des „Volkes“ argumentiert, so lässt er in seinen privaten
Äußerungen keinen Zweifel an der antisemitischen Stoßrichtung seines Angriffes. Diese
erste theoretische Auseinandersetzung um die Interpretation von Kulturtheorie weist be-
reits alle Merkmale auf, die Wolframs Arbeiten auch in Zukunft auszeichnen werden :
Eine öffentliche, im Rahmen der wissenschaftlichen Begrifflichkeit geführte Polemik, und
daneben eine in privaten Intrigen und Äußerungen offen gelegte politisch-weltanschau-
liche Absicht. Diese Zweigleisigkeit wird prägnant zusammengefasst in seiner Aussage,
dass ihm die norwegische Volkstanzforscherin Klara Semb45 geschrieben habe, dass Bloch
keine Ahnung vom germanischen Tanz habe, er solle sich auf den Bauchtanz beschränken,
und dann fortfährt : Das meine ich auch. Aber freilich, sagen derf man´s nicht. Doch hoffe
ich, dass das rein sachliche genügen wird, um ihm recht unangenehm zu werden46. Privat
polemisiert er gegen die tanzgeschichtliche Arbeit Blochs47, dass alles was bei dieser „Kom-
bination Bloch + Berlin herauskommt […] psychologisch einfach trottelhaft [sei]. Natürlich
fallen die arischen Gelehrten darauf hinein. Dem Bloch, der sich nebst einem Namensvetter
42 Für den dort vorherrschenden „völkischen“ Geist spricht, dass unter den habilitierten Germanisten und Volks-
kundlern eine besonders hohe Anzahl an „Illegalen“-Nummern, also Mitgliedern der verbotenen NSDAP,
anzutreffen war. Siehe Uwe Baur, „Eine Mehrheit an Methoden muß zur Verfügung stehen“. „Innere Emig-
ration“ eines Germanisten : Hugo (v.) Kleinmayr, in : Literatur der „Inneren Emigration“ aus Österreich, hg. v.
Johann Holzner, Karl Müller (Zwischenwelt 6, Wien 1998) 357–375.
43 SLIVK, NRW, Briefe 21670-N : Wolfram an Höfler, datiert 19.12.1929.
44 Richard Wolfram, Gesunkenes Kulturgut und gehobenes Primitivgut, in : FS für J. Strzygowski (Klagenfurt
1932) 185–189.
45 Klara Semb, norwegische Volkskundlerin, Choreografin und Volkstanzforscherin.
46 Wolfram an Höfler, datiert 19.12.1929 (wie Anm. 43).
47 Paul Jaques Bloch, Der deutsche Volkstanz der Gegenwart : eine volkskundliche Untersuchung (Gießen
1927).
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Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625