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Richard Wolfram (1901–1995) 507
bezeichnete und warf diesem und seinen Anhängern ihre geschichtstheoretischen Annah-
men vor, denen das Kriegerisch-Ritterliche und Heroische fremd sei120. Es könne aber kein
Zweifel daran bestehen, dass die Geschichte der weissen Menschheit seit Jahrtausenden vor
allem durch die Indogermanen bestimmt wurde.121 So kam Wolfram zu dem – in diesen
Jahren für den Betroffenen nicht ungefährlichen – Schluss : Eine Volkskunde, die von den
wahren Grundkräften unseres Wesens nichts weiss und in der grössten Leistung der Indogerma-
nen und Germanen nur Entartung seit Urzeiten zu erblicken vermag, möge sich aber nicht als
nationalsozialistisch, rassebewusst und weltanschaulich richtungsweisend ausgeben122. Zwei
Jahre später ersuchte Heinrich Harmjanz123 vom Reichsministerium für Wissenschaft,
Erziehung und Volksbildung unter Verweis auf ein Schreiben der Parteikanzlei Wolfram
umgehend eine Stellungnahme und ein Gutachten über Prof. Spiess und seine Mondphasen-
theorie zu übersenden124. In seinem nun doppelt so umfangreichen Gutachten bekräftigte
Wolfram seine Kritik und bezichtigte Spiess, all sein Material nach einseitigen weltan-
schaulichen und methodischen Prämissen zu ordnen125. Man kann mit Sicherheit davon
ausgehen, dass sich Wolfram der Ironie dieses Vorwurfs nicht bewusst war. In diesem
zweiten Gutachten ging er noch einen Schritt weiter und beschuldigte Spiess, in seinen
Anschauungen auf den Theorien dem Geist des Rationalismus und […] der Soziologie des
französischen Juden Levy-Brühl126 zutiefst verpflichtet zu sein127. Er, Wolfram, sehe keinen
Weg dessen Grundansichten, mit unseren nationalsozialistischen Erkenntnissen und Über-
zeugungen in Einklang zu bringen128, denn das von Spiess und Mudrak gezeichnete Bild sei
das eines nicht geschichtlichen und nicht machtfähigen Volkstums129.
120 Ebd. pag. 11.
121 Ebd. pag. 10.
122 Ebd. pag. 12.
123 Heinrich Harmjanz, ab 1935 Privatdozent für Volkskunde, Volksforschung, Soziologie sowie Grenz- und
Auslandsdeutschtum an der Universität Königsberg, seit 1937 ordentlicher Professor, 1938 Ordinarius an
der Universität Frankfurt am Main. Herausgeber der Zeitschrift für Volkskunde. Seit 1937 bis 1943 Sach-
bearbeiter im Amt Wissenschaft des Reichswissenschaftsministeriums, ab 1942 persönlicher Referent des
Ministers Bernhard Rust, Ministerialdirektor und Chef des Ministeramtes. Seit 1939 Leiter der Abteilung
Volksforschung und Vokskunde im „Ahnenerbe“ der SS. Ging später sämtlicher SS-Ämter verlustig.
124 SLIVK, NRW, Briefe 18470-N : Harmjanz an Wolfram, datiert 08.07.1941. Die Beauftragung Wolframs
durch Harmjanz verrät die Absicht, ein Richtungs-Gutachten gegen die „Rosenberg-Schule“ in Auftrag zu
geben. Harmjanz wusste um die Einstellung Wolframs, hielt im Übrigen aber wenig von ihm und bezeich-
nete ihn intern als „Sonderling“.
125 SLIVK, NRW, Typoskripte 18472-N : Gutachten über Karl von Spiess und Edwin Mudrak, undatiert.
126 Lucien Lévy-Bruhl (1857–1939), französischer Philosoph und Ethnologe.
127 SLIVK, NRW, Gutachten Spiess und Mudrak (wie Anm. 125) pag. 31.
128 Ebd. pag. 33.
129 Ebd. pag. 40. Trotz dieses Gutachtens erhielt Mudrak vom Amt Rosenberg eine Professur an der Reichsuni-
versität Posen, was Bockhorn, Angelegenheit (wie Anm. 5) 223, sehr klar als eine Niederlage für Wolfram
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625