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Richard Wolfram (1901–1995) 511
Das Ergebnis beider Umfragen war recht unterschiedlich, lieferte aber in der Mehrzahl der
Fälle eine brauchbare Unterlage. Seither wandere ich von Ort zu Ort und Hof zu Hof und for-
sche selbst. Es ergibt sich dabei, dass die Fragebogen nur sehr ungefähre Hilfsmittel sind. Viele
Dinge, die sie übergehen oder verneinen, kommen durch das persönliche Schürfen zutage141.
In einer vertraulichen Abteilungsleitersitzung des „Ahnenerbe“, die am 23. und 24.
April 1941 in der philosophischen Fakultät der Universität München stattfand, beschrieb
Sievers die Kulturaufnahme in Südtirol als ein Unterfangen, das in einer Breite und Aus-
führlichkeit angelegt sei, die bisher unerreicht sei und stellte fest, dass die bisherigen Leis-
tungen auf diesem Gebiet den zukünftigen Aufgaben des „Ahnenerbes“ in den neu besetz-
ten Gebieten zu Gute kommen werden142. Im Anschluss an Sievers berichtete Wolfram
von seinen volkskundlichen Arbeiten in Südtirol, die er als eine Fundgrube und Quelle des
Glücks143 bezeichnete. Es ließen sich überall germanische Sinnbilder erkennen. In seinem
Besitz habe er auch 42 noch ungedruckte Volksschauspiele, und somit stelle sich nunmehr
die Frage nach der Aus-und Verwertung des Materials, die Sievers mit Hinweis auf das
derzeit bestehende Verbot aller Veröffentlichungen beantwortete144. Nach dem Abschluss
der Hauptarbeiten vor Ort verlagerte sich Wolframs Tätigkeit auf die Aufarbeitung der
Südtiroler Arbeiten in Wien, wohin er die Materialien zunächst verbrachte. Er erkannte
früh die Möglichkeiten, welche der Besitz all dieser gesammelten Aufzeichnungen mit
sich bringen würde und sammelte daher so viel als möglich in seinem Institut. Eine vo-
rausschauende Handlungsweise, denn mit dem Ende des „Reiches“ und damit auch des
„Ahnenerbes“ sollte er die Aufzeichnungen als seinen privaten Forschungsbesitz betrach-
ten und sie als Fundus für den Aufbau seiner Reputation als „der“ Kenner der Südtiroler
Brauchtumswelt verwenden.
Im Anschluss an die Südtirol-Arbeiten machte sich Wolfram im November 1941
und im Frühjahr 1942 an volkskundliche Aufnahmen in der Sprachinsel der Gottschee-
Deutschen, die allerdings kriegsbedingt nur in bescheidenem Umfang durchgeführt wer-
141 Ebd. Wolfram, Arbeitsbericht Südtirol : Abteilung : Volksbrauch, Volksglaube, Volkstanz, Volksschauspiel,
undatiert (ca. 1941).
142 Ebd. NS 21/229 : Bericht der Abteilungsleitersitzung der Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Das Ahnen-
erbe“ in München, 23. und 24.04.1941.
143 Ebd. pag. 3.
144 Ebd. pag. 3–4. Die erwähnten Volksschauspiele sollten nach Kriegsende noch ein Nachspiel haben, denn
Wolfram sah sich 1946 mit dem Vorwurf konfrontiert, diese Handschriften nach Wien verschleppt zu ha-
ben. Vorwürfe, die Wolfram in einem Schreiben an das Staatsdenkmalamt zurückwies. Siehe SLIVK, NRW,
Briefe 22784-N und 26521-N : Schriftwechsel zwischen Wolfram und dem Staatsdenkmalamt Wien, datiert
21.03. und 26.03.1946 ; sowie SLIVK, NRW, Briefe 23320-N : Wolfram an [ungenannten] Kollegen, datiert
29.10.1946. Wolfram erwähnt an anderer Stelle ebenfalls diese Schauspiele und berichtet er habe sie unter
erheblichen Schwierigkeiten selber entziffert und abgeschrieben, denn die Handschriften befanden sich oft im Besitz
von Dableibern. SLIVK, undatierter Arbeitsbericht (wie Anm. 141).
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 3
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 3
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20801-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 630
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Österreichische Historiker 1900–1945. Einleitung und Kommentar zum dritten Band 9
- Oswald Redlich (1858–1944). Historiker über oder zwischen den Parteien ? 29
- Ludo Moritz Hartmann (1865–1924). Geschichtsschreibung im Lichte der frühen Sozialdemokratie Österreichs 67
- Hermann Wopfner (1876–1963). Der „treueste Sohn Tirols“ 97
- Hugo Hassinger (1877–1952). Volkstumsforscher, Raumplaner, Kartograph und Historiker 123
- Hans Uebersberger (1877–1962). Eine Gratwanderung : (S)eine Karriere im Fokus privater und öffentlich-beruflicher Spannungen 157
- Adolf Helbok (1883–1968). „Ich war ein Stürmer und Dränger“ 185
- Camillo Praschniker (1884–1949). Wiedergewinnung aus der Zerstörung 313
- Balduin Saria (1893–1974). „Ein deutschsprachiger Sohn der Untersteiermark“ 379
- Erna Patzelt (1894–1987) und Lucie Varga (1904–1941). Leben zwischen Kontinuität und Diskontinuität 405
- Otto Brunner (1898–1982). „Nicht der Staat, nicht die Kultur sind uns heute Gegenstand der Geschichte sondern Volk und Reich.“ 439
- Richard Wolfram (1901–1995). „Wir haben einen Stern, dem wir gefolgt sind“ 479
- Taras (von) Borodajkewycz (1902–1984). Zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus : Der Versuch, das Unvereinbare zu verbinden 527
- Abkürzungsverzeichnis 607
- Abbildungsnachweis 610
- Personenregister 611
- Autorinnen und Autoren 625